Fürst Orlow
Graf Beust
524 EIN RENEGAT
Rom, Byrons „city ofthe soul‘. Wer das Schauspiel eines politischen Lebens
genießen will, das immer neue Bilder bietet, wo um der Menschheit höchste
Güter mit Leidenschaft, mit Geist und Witz gestritten wird, wo das öffent-
liche Leben an dramatischen Momenten reicher ist als in irgendeinen: andern
Lande der Welt, der suche Paris auf. Ich brauche kaum zu sagen, daß mir
als Preußen und Deutschem das Brandenburger Tor ehrwürdiger ist als der
Arc de Triomphe oder der Triumphbogen des Konstantin und daß das
Denkmal unseres großen Königs Fridericus Rex mehr zu meinem Herzen
spricht als die Napoleon-Säule. Dies nur pro domo mea.
Die vornehmste und dabei sympathischste Figur unter den nicht-
deutschen Diplomaten in Paris war während meines dortigen Aufenthaltes
der russische Botschafter Fürst Nikolai Orlow. Er hatte als junger
Offizier 1854 im Krim-Kriege beim Sturm auf Silistria ein Auge verloren.
Die schwarze Binde über dem fehlenden linken Auge gab dem hoch-
gewachsenen Mann einen martialischen Anstrich und machte ihn zu einer
der interessantesten Erscheinungen der Pariser Gesellschaft. Fürst Orlow
war seit Jahren mit dem Fürsten Bismarck durch gegenseitige Achtung und
herzliche Freundschaft verbunden. Die Fürstin Orluw, eine vornehme und
charmante Dame, war außer der Großfürstin Helene Pawlowna wohl die
einzige Frau, mit der sich Fürst Bismarck gern über Politik unterhalten hat.
Unter den Sekretären der Russischen Botschaft waren zwei, mit denen mich
das Leben noch öfter zusammengeführt hat. Graf Kapnist wurde später
russischer Vertreter beim Päpstlichen Stuhl, dann Botschafter in Wien,
Graf Michael Nikolajewitsch Murawjew Botschaftsrat in Berlin, Gesandter
in Kopenhagen und schließlich russischer Minister des Äußern.
Wie Fürst Orlow der sympathischste, so war der österreichisch-ungarische
Botschafter Graf Beust die kläglichste Figur im Pariser Corps diplomatique.
Er sah aus, als ob er sich nie gewaschen hätte. Trotzdem hielt er sich für
einen schönen Mann und war namentlich stolz auf seine kleinen Füße. Er
setzte sich gern so, daß alle Welt seine Füßchen bewundern konnte. In Gesell-
schaft sang er am Klavier ein von ihm selbst verfaßtes und kompouniertes
Gedicht auf seine Entlassung als österreichisch-ungarischer Reichskanzler,
dessen Refrain lautete:
Mein Herz bleibt den Freunden, den Lieben getreu,
Verzeihung den Feinden, der Kampf ist vorbei.
In Wirklichkeit hat der Verfasser dieses sentimentalen Liedes seinen
Feinden und namentlich dem Fürsten Bismarck niemals verziehen. Er
hetzte in Paris, wo er konnte, gegen das Deutsche Reich und trieb sein
Renegatentum so weit, daß er Stammgast im Salon der größten Deutschen-
feindin, der berüchtigten Madame Edmond Adam (Juliette Lamber), der