Reise nach
Neapel
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rascher, als wenn Fremde sich einmischen.“‘ Donna Laura sagte mir dann,
daß sie und ihre Tochter für einige Tage nach Neapel gehen wollten und
daß sie sich freuen würden, mir dort zu begegnen. Ich erwiderte, daß ich
diesen Vorschlag mit Enthusiasmus annähme. Ich hätte einen sechs-
wöchigen Urlaub für eine Reise nach Tunis und Algier erhalten, die
aus eigener Anschauung kennenzulernen für mich als Ersten Sekretär der
Pariser Botschaft von Interesse sei. Neapel liege auf dem Wege nach dem
Ziel meiner Reise.
Nach herzlichem Abschied von dem guten Professor Blaserna und seinen
Kanarienvögeln machte ich mich auf den Weg nach Neapel. Donna Laura
und ihre Tochter waren dort im Hotel Tramontano abgestiegen. Wir be-
suchten zuerst Santa Lucia, wo Donna Maria in dem damaligen Palazzo
Acton geboren war, dann die Adelskirche von Neapel, S. Domenico
Maggiore, wo ihr Vater, der Fürst Domenico Camporeale, beigesetzt war
und wo ich die Reliefdarstellung des Wunders vom Kruzifix von Toma
de Stefani bewunderte. In dem anstoßenden Kloster lebte und wirkte im
dreizehnten Jahrhundert Thomas von Aquino, der größte der Scholastiker,
der Doctor Angelicus und der Doctor Universalis, den Leo XIII. zum
ersten Lehrer der katholischen Kirche und zum Schutzpatron aller
katholischen Schulen erhob. Im selben Kloster wurde dreihundert Jahre
später ein anderer Dominikaner, Giordano Bruno, erzogen, dem es aber
weniger gut gehen sollte als seinem Ordensbruder von Aquino. Er wurde
nach mancherlei Irrungen und Irrfahrten als Ketzer in Rom auf denı Campo
dei Fiori verbrannt, wo jetzt jede Woche ein Trödelmarkt abgehalten wird,
auf dem englische Globetrotter und deutsche Vergnügungsreisende eifrig
nach Antiquitäten suchen.
Wir genossen in Neapel von der Villa Nazionale einen der schönsten
Ausblicke der Welt. Wir verspeisten abends beim Figlio di Pietro am Fuße
des Posilipo, unten am Meer, Spaghetti und Frutti di mare. Am nächsten
Tage fuhren wir zum Grabe des Virgil. Aber vergeblich suchte ich nach der
Inschrift, von der mir einst in Neustrelitz der Ordinarius der Sekunda, der
gute Professor Ladewig, der mich Virgil (nach ihm Vergil) lieben lehrte, oft
erzählt hatte:
Mantua me genuit, Calabri rapuere, tenet nunc
Parthenope: cesini pascua, rura, duces.
Wir fuhren weiter am Meer entlang nach Bajae, einst dem glänzendsten
Badeort, dem Biarritz oder Brighton des kaiserlichen Rom. „Nullus in orbe
sinus Baiis praelucet amoenis!“ (Nichts in der Welt gleicht dem lieblichen
Busen von Baiae) ruft bei Horaz ein reicher Römer aus, der sich dort
niederlassen möchte. Wir erreichten das Kap Miseno. Dort hatte einst der