Full text: Bernhard Fürst von Bülow - Denkwürdigkeiten. Vierter Band. Jugend- und Diplomatenjahre. (4)

Reise nach 
Neapel 
538 AM POSILIPO 
rascher, als wenn Fremde sich einmischen.“‘ Donna Laura sagte mir dann, 
daß sie und ihre Tochter für einige Tage nach Neapel gehen wollten und 
daß sie sich freuen würden, mir dort zu begegnen. Ich erwiderte, daß ich 
diesen Vorschlag mit Enthusiasmus annähme. Ich hätte einen sechs- 
wöchigen Urlaub für eine Reise nach Tunis und Algier erhalten, die 
aus eigener Anschauung kennenzulernen für mich als Ersten Sekretär der 
Pariser Botschaft von Interesse sei. Neapel liege auf dem Wege nach dem 
Ziel meiner Reise. 
Nach herzlichem Abschied von dem guten Professor Blaserna und seinen 
Kanarienvögeln machte ich mich auf den Weg nach Neapel. Donna Laura 
und ihre Tochter waren dort im Hotel Tramontano abgestiegen. Wir be- 
suchten zuerst Santa Lucia, wo Donna Maria in dem damaligen Palazzo 
Acton geboren war, dann die Adelskirche von Neapel, S. Domenico 
Maggiore, wo ihr Vater, der Fürst Domenico Camporeale, beigesetzt war 
und wo ich die Reliefdarstellung des Wunders vom Kruzifix von Toma 
de Stefani bewunderte. In dem anstoßenden Kloster lebte und wirkte im 
dreizehnten Jahrhundert Thomas von Aquino, der größte der Scholastiker, 
der Doctor Angelicus und der Doctor Universalis, den Leo XIII. zum 
ersten Lehrer der katholischen Kirche und zum Schutzpatron aller 
katholischen Schulen erhob. Im selben Kloster wurde dreihundert Jahre 
später ein anderer Dominikaner, Giordano Bruno, erzogen, dem es aber 
weniger gut gehen sollte als seinem Ordensbruder von Aquino. Er wurde 
nach mancherlei Irrungen und Irrfahrten als Ketzer in Rom auf denı Campo 
dei Fiori verbrannt, wo jetzt jede Woche ein Trödelmarkt abgehalten wird, 
auf dem englische Globetrotter und deutsche Vergnügungsreisende eifrig 
nach Antiquitäten suchen. 
Wir genossen in Neapel von der Villa Nazionale einen der schönsten 
Ausblicke der Welt. Wir verspeisten abends beim Figlio di Pietro am Fuße 
des Posilipo, unten am Meer, Spaghetti und Frutti di mare. Am nächsten 
Tage fuhren wir zum Grabe des Virgil. Aber vergeblich suchte ich nach der 
Inschrift, von der mir einst in Neustrelitz der Ordinarius der Sekunda, der 
gute Professor Ladewig, der mich Virgil (nach ihm Vergil) lieben lehrte, oft 
erzählt hatte: 
Mantua me genuit, Calabri rapuere, tenet nunc 
Parthenope: cesini pascua, rura, duces. 
Wir fuhren weiter am Meer entlang nach Bajae, einst dem glänzendsten 
Badeort, dem Biarritz oder Brighton des kaiserlichen Rom. „Nullus in orbe 
sinus Baiis praelucet amoenis!“ (Nichts in der Welt gleicht dem lieblichen 
Busen von Baiae) ruft bei Horaz ein reicher Römer aus, der sich dort 
niederlassen möchte. Wir erreichten das Kap Miseno. Dort hatte einst der
	        
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