Gustav
Nachtigal
Der Bey
von Tunis
540 EIN DEUTSCHER AFRIKAFORSCHER
Goletta auf der Landzunge zwischen dem Meer und dem See von Tunis.
Hier sank die Vaterstadt des Hannibal, des Besiegers der Römer, nach
wütender Gegenwehr in Flammen vor den Augen des jüngeren Scipio, den
das Bewußtsein von der Vergänglichkeit alles Irdischen bis zu Tränen
erschütterte. Auf den Trümmern, die diese Stätte bedeckten, saß ein halbes
Jahrhundert später Marius, und der zitternde Sklave wagte nicht, Hand an
den Besieger der Zimbern und Teutonen zu legen.
D’Estournelles verschwieg mir nicht die große, die zu große Zahl der in
der Residentschaft Tunis ansässigen Italiener und Juden. „Sie überwiegen
hier durchaus‘, meinte er. „Franzosen gab es vor unserem Einmarsch nur
wenige, und ihre Zahl hat sich seitdem nicht erheblich vermehrt.“ Das Über-
wiegen des italienischen Elementes schien d’Estournelles nicht zu be-
unruhigen. „Wir Franzosen‘, äußerte er, „sind keine Kolonisatoren. Das
schadet auch nichts, so lange wir militärisch dominieren und damit die
Verwaltung in der Hand behalten. Das ist jetzt der Fall und wird auch
weiter der Fall sein, wenn wir unsere Stellung in Europa behaupten.“
D’Estournelles stand in den besten Beziehungen zu dem deutschen
Konsul Dr. Gustav Nachtigal. Das wenige, das ich über das Innere
Afrikas weiß, verdanke ich diesem ausgezeichneten Mann. Er hatte Afrika
nach allen Richtungen durchquert und erzählte in der fesselndsten Weise
von Tibesti und Bornu, Kanem und Borku, von Bagirmi und Wadai, Darfur
und Kordofan. Bald nach unserer Begegnung in Tunis wurde Nachtigal als
Kaiserlicher Kommissar nach der Küste von Oberguinea geschickt. Er
stellte Togo und Kamerun unter deutschen Schutz. Auf der Rückreise von
dort starb er im Frühjahr 1885, zu früh für unsere Kolonialpolitik und für
das Reich. Ich frühstückte im Hause Bismarck, als der Fürst die Nachricht
von seinem Tode erhielt. Bismarck legte das Telegramm mit den nach-
denklichen Worten beiseite: „Schade um den Mann! Er hatte Schneid und
war doch kein Durchgänger. Ein Verlust.‘“ Nachtigal stammte aus der
Stendaler Gegend, aus der Heimat des Bismarckschen Geschlechts.
D’Estournelles wollte, daß ich dem Bey von Tunis meine Aufwartung
machte. Dr. Nachtigal unterstützte diesen Wunsch. Beide meinten, der
Bey nehme es übel, wenn distinguiertere Fremde Tunis, ‚‚die Stätte des
Friedens und der Glückseligkeit‘, wie die Hauptstadt offiziell hieß, be-
suchten, ohne sich bei ihm vorzustellen. Das war, wie Dr. Nachtigal nicht
unrichtig bemerkte, auch in Deutschland in früherer Zeit der Standpunkt
kleiner Souveräne. Von Nachtigal und D’Estournelles begleitet, fuhr ich
nach dem Bardo, der Residenz des Mohammed Es Sadok. Schlanke Palm-
bäume, deren Blätter in der Sonne glitzerten, erhoben sich rechts und links
von: Wege in der weiten Ebene. Wir begegneten Herden von Kamelen, die
ich außerhalb zoologischer Gärten hier zum erstenmal erblickte. Die