Full text: Bernhard Fürst von Bülow - Denkwürdigkeiten. Vierter Band. Jugend- und Diplomatenjahre. (4)

DER BEDUINENFÜRST 541 
Beduinen, die sie führten, sahen in ihren langen Burpussen, mit ihren 
Kapuzen und ihren wallenden Bärten sehr respektabel aus. Sie erinnerten 
mich an die Erzväter des alten Testaments. So und nicht anders mögen 
Abraham und Isaak, Jakob und Laban, Moses und die Propheten ausgeschaut 
haben. Mohammed Es Sadok, klein, fett, kurzatmig, mit großer Glatze und 
mit blöden Augen, sah weniger ehrwürdig aus als seine Untertanen. Nach- 
dem meine beiden Begleiter eine Anrede an ihn gehalten hatten, in der sie 
meine trefllichen Eigenschaften rühmten, überreichte mir der Beherrscher 
des Tunesischen Reichs das Großoffizierskreuz seines Hausordens vom 
Iftikhar. Er murmelte dabei etwas von Brillanten, die seinen Orden 
schmückten und die seine Gabe noch wertvoller machen sollten. Als ich 
später einmal diese Brillanten der von mir nie getragenen ridikülen De- 
koration meiner Frau schenken wollte, stellte sich heraus, daß sie falsch 
waren. 
Auf Schritt und Tritt begegnete ich in Tunis Juden. Nachtigal be- 
rechnete die Zahl der in der sogenannten Berberei, im nordwestlichen 
Afrika, zwischen dem Mittelländischen Meer und der Sahara, in Algier, 
Tunis, Marokko und Tripolitanien ansässigen Israeliten auf annähernd 
eine Million. Es hätten also damals dort weit mehr Juden gelebt als in 
Deutschland oder gar in England, Frankreich, Italien. Nachtigal, der sich, 
obwohl nicht Israelit, lebhaft für die Geschichte des auserwählten Volks 
interessierte, behauptete, daß die Juden ein Prozent der Bevölkerung der 
Erde ausmachten. Die Gesamtzahl aller Juden betrage vierzehn Millionen. 
Davon kämen fünf Millionen auf Rußland, drei Millionen auf die Vereinigten 
Staaten, drei Millionen auf Polen, zwei Millionen auf die Ukraine, eine 
Million auf Rumänien, fünfhunderttausend auf Deutschland, fast ebensoviel 
auf Ungarn, dreihunderttausend auf Böhmen, fast dreihunderttausend auf 
Deutsch-Österreich, zweihundertfünfzigtausend auf England, hundert- 
fünfzigtausend auf Frankreich, kaum vierzigtausend auf Italien. Ob diese 
Zahlen, die ich mir damals notierte, heute noch stimmen, weiß ich nicht. 
Richtig dürfte unter allen Umständen sein, daß die Masse der Ostjuden die 
Zahl der im westlichen Europa lebenden Juden gewaltig überwiegt. Die 
amerikanischen Juden dürften auch meist aus Osteuropa stammen. Die 
Juden der Berberei waren aus Spanien und Portugal nach Afrika ge- 
kommen, als die Inquisition sie, damals etwa zweihunderttausend, von der 
Iberischen Halbinsel vertrieb. Sie wurden von den Muselmännern nicht viel 
besser behandelt als vorher vom Heiligen Offizium. Sie durften zum 
Beispiel vor der französischen Okkupation in Tunis, wie vorher in Algier, 
an keiner Moschee vorbeigehen, ohne die Schuhe auszuziehen. Sie konnten 
sich kaum auf der Straße sehen lassen, ohne beschimpft und angespuckt 
zu werden. Ein gewisser Trost für sie lag darin, daß die Mohammedaner, 
Tunesische 
Juden
	        
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