Full text: Bernhard Fürst von Bülow - Denkwürdigkeiten. Vierter Band. Jugend- und Diplomatenjahre. (4)

EIN GESTÄNDNIS 41 
Auch dieser an und für sich betrübliche Zwischenfall wurde mir zur heil- 
samen Lehre. Verdruß ist auch ein Teil des Lebens für den, der Nutzen aus 
allem zieht, was ihm widerfährt. Betrunkenheit ist mir seitdem wider- 
wärtig gewesen. Ich weiß wohl, daß ich mit diesem Geständnis bei manchem 
biederen Landsmann Befremden, wenn nicht Anstoß erregen werde. Hat 
doch Georg Christoph Lichtenberg, einer der feinsten deutschen Geister des 
achtzehnten Jahrhunderts, über hundert deutsche Ausdrücke für Betrun- 
kenheit aufgezählt, und Schopenhauer bemerkt dazu, das sei kein Wunder, 
da die Deutschen seit jeher als Säufer berühmt seien. Karl Hillebrand, der 
Verfasser des noch heute lesenswerten Buches „Frankreich und die Fran- 
zosen“‘, das bald nach dem Deutsch-Französischen Krieg erschien und mit 
feinem psychologischem Verständnis für Deutsche wie für Franzosen ge- 
schrieben ist, sagte mir 1874 in Florenz: „Die deutsche Mutter blickt nicht 
ohne Stolz auf den Sohn, wenn er schwer bezecht aus der Kneipe heim- 
kommt, ringt aber die Hände, wenn sie hört, daß er sich einen Betthasen 
zugelegt habe, um einen Ausdruck der Frau Rath Goethe zu gebrauchen. 
Bei der französischen Mutter ist es umgekehrt. Daß ihr Sohn eine ‚bonne 
amie‘ hat, amüsiert sie, vorausgesetzt, daß aus der Liaison nicht ein Collage 
wird oder gar eine Heirat mit einem armen Mädchen; träte aber ihr Sohn 
betrunken vor sie, so würde sie sich mit Grausen abwenden: ‚Fi donc, 
quelle horreur!““ Fast alle deutschen Dichter haben uns Trinklieder ge- 
sungen: Schiller das „Punschlied“, Goethe das „Tischlied‘“ und „Ergo 
bibamus“. Sogar der fromme ‚Wandsbeker Bote‘ „bekränzt mit Laub den 
lieben vollen Becher und trinkt ihn fröhlich leer“. Von bedeutenden fran- 
zösischen Dichtern hat meines Wissens nur Beranger Trinklieder verfaßt, 
und auch diese sind nicht Trinklieder im deutschen Sinne, sondern haben 
wie die „Chanson du Dieu des bonnes Gens“ eine politische oder wie die 
„Bacchante‘“ eine erotische Tendenz. Zur Beruhigung derjenigen Deut- 
schen, die noch heute des Glaubens sind, daß, ,‚wer niemals einen Rausch 
gehabt, kein braver Mann“ ist, will ich nicht verschweigen, daß ich in meinem 
späteren Leben vielleicht noch zwei- oder dreimal über den Durst getrunken 
habe. Zweier Fälle erinnere ich mich. Als Bonner Husar fuhr ich mit guten 
Kameraden nach dem Johannisberg, um dort dem in einem Sanatorium 
weilenden Erbgroßherzog von Mecklenburg-Schwerin, dem späteren Groß- 
herzog Friedrich Franz III., einen Besuch zu machen. Der Erbgroßherzog 
war zu leidend, um uns empfangen zu können, ließ uns aber ein gutes Essen 
mit noch besseren Weinen, Johannisberger, Steinberger, Niersteiner, vor- 
setzen, denen ich reichlich zusprach. Auf dem Rückweg fuhren wir in einem 
Kahn von Rüdesheim nach St. Goar. Unterwegs wollte ich durchaus ins 
Wasser springen, was aber zu meinem Glück mein lieber Freund Carlos 
Sierstorpff, wegen seiner Körperlänge nach einem damals berühmten 
Über das 
Trinken
	        
Waiting...

Note to user

Dear user,

In response to current developments in the web technology used by the Goobi viewer, the software no longer supports your browser.

Please use one of the following browsers to display this page correctly.

Thank you.