Disput des
Botschafters
mit Vitzthum
550 LORDS UND GEHEIMRÄTE
verbunden mit der hängenden Unterlippe, den glanzlosen Augen, etwas für
alle und alles Gleichgültiges, Hochmütiges. Insofern war er ein echter
Typus des alten hannoverschen Adels, der an aristokratischer Hoffart
jeden andern deutschen Adel übertraf. Dieses hochmütige Selbstbewußtsein
war aber mit unleugbaren Qualitäten verbunden. Münster besaß große
Sicherheit des Auftretens, ein unerschütterliches Selbstvertrauen, viel
gesunden Menschenverstand. In der Konversation war er ebenso originell
wie in der äußeren Erscheinung. Er verhehlte in keiner Weise seine Miß-
achtung für das damals von Bismarck geleitete Auswärtige Amt, das er das
„Zentralrindvieh‘“ zu nennen pflegte. Tadelnde Bemerkungen in Erlassen
des Auswärtigen Amts und selbst Rügen von Bismarck machten ihm keinen
Eindruck. Als er einmal einen schriftlichen Verweis des „großen Otto‘, wie
wir ihn in der Karriere nannten, erhielt, meinte er gleichmütig, noch dazu
im Beisein von Herbert Bismarck: „Wie muß sich der geärgert haben, der
diesen Erlaß diktiert hat.“
Am ersten Abend, den ich bei Münster verlebte, geriet er mit Friedrich
Vitzthum in einen freundschaftlichen Disput über eine gerade schwebende
deutsch-englische Differenz. Münster konnte Vitzthum wohl leiden, obwobl
oder gerade weil dieser ihm gegenüber kein Blatt vor den Mund nahm. „Ich
weiß sehr gut“, meinte Vitzthum an diesem Abend zu seinem Chef, der
wieder abfällige Bemerkungen über deutsche Beamte und Hochschullehrer
gemacht hatte, ,„‚daß Sie, Exzellenz, der Ansicht sind, ein englischer Lord
von einundzwanzig Jahren, der in Cambridge oder in Oxford gerudert und
Cricket gespielt hat, sei klüger als alle deutschen Bürokraten und Ge-
lehrten.“* Mit der größten Ruhe erklärte Münster lachend: „Das ist er auch,
mein lieber Vitzthum! Das ist er! Politisch ist so ein junger Lord viel klüger
als alle unsere Professoren und Geheimräte.““ Als die Rede darauf kam, daß
er und Bismarck von 1859 bis 1862 in St. Petersburg Kollegen gewesen
waren, meinte Münster, nicht ohne unfreiwilligen Humor: „Für Bismarck,
der das starke preußische Heer hinter sich hatte, war es keine Kunst, sich
in St. Petersburg eine gute Stellung zu machen. Aber daß ich als Vertreter
des kleinen Hannover in St. Petersburg eine so ausgezeichnete Position
hatte, das wollte etwas bedeuten.‘ Als wir von der Botschaft nach der
Vitzthumschen Wohnung zurückkehrten, resümierte Herbert sein Urteil über
Münster dahin, daß er nach Erziehung, durch seine Heirat mit einer Eng-
länderin und alle seine Liebhabereien ganz Engländer geworden sei und
alles durch die englische Brille ansehe. Er würde also nur so lange brauchbar
sein, wie wir mit England keine ernstlichen Differenzen hätten. Solange dies
nicht der Fall sei und von Berlin überwacht und gezügelt, sei Münster
in London ganz gut am Platz, da er den Engländern sympathisch sei und
ihnen volles Vertrauen einflöße. Nur der Prinz von Wales möge Münster