Nach
Petersburg
versetzt
Besuch beim
Fürsten
554 IN VARZIN
Was sind Hoffnungen, was sind Entwürfe,
Die der Mensch, der Vergängliche, baut ?
Während des Frühstücks, das nach der Trauung in der Bost, dem an der
hier breit fließenden Elbe unter Eichen, Linden und Buchen schön gelege-
nen Landhaus der Eltern der Braut in Dockenhuden, stattfand, erhielt ich
ein Telegramm des Auswärtigen Amtes, das mir meine Versetzung von
Paris nach St. Petersburg mit dem Zusatz mitteilte, daß ich mich sofort
und direkt auf meinen neuen Posten zu begeben hätte, da der kaiserliche
Botschafter in St. Petersburg, der General von Schweinitz, aus Familien-
rücksichten einen nicht länger zu verschiebenden Urlaub antreten wolle. So
schied ich von Paris. Ich hatte angenommen, daß ich nach wenigen Tagen
von der Elbe an die Seine zurückkehren würde. Statt dessen habe ich
Paris, wo ich sechs Jahre verlebt hatte, nie wiedergesehen. Was sind Hof-
nungen, was sind Entwürfe?
Gleichzeitig mit der Weisung des Auswärtigen Amtes erhielt ich ein
Telegramm aus Varzin, in dem Fürst Bismarck mir den Wunsch einer
persönlichen Rücksprache ausdrückte und mich zu einem zweitägigen
Besuch einlud. Am nächsten Tage fuhr ich von Hamburg direkt nachVarzin,
wo ich zuletzt neun Jahre früher geweilt hatte. Ich wurde vom Fürsten,
der Fürstin und Bill Bismarck, der bei seinem Vater Dienst tat, in der
freundlichsten Weise empfangen. Im Bismarckschen Hause herrschte ein
im besten Sinne patriarchalischer Ton, nicht nur zwischen Eltern und
Kindern, sondern auch zwischen dem Hausherrn und seinen Gästen. Wie
jedes ganz große Genie, war auch Bismarck nicht unter einen einzigen
Begriff zu bringen, also etwa mit dem Schlagwort „der größte Junker“ zu
klassifizieren. So wenig wie Moltke nur Schlachtendenker war, Goethe nur
Dichter des „Faust“. Aber im innersten Kern war Bismarck preußischer
Edelmann und preußischer Offizier, deutscher Landwirt und Familien-
vater. Die Fürstin frug sofort nach dem Befinden meiner Mutter, die sie sehr
liebte. Der Fürst reichte mir die Hand mit den Worten: ‚Es sind wohl schon
fünf Jahre vergangen, seitdem Ihr Herr Vater starb, aber ich vermisse ihn
noch ebenso wie am ersten Tage.“
Die Fürstin setzte mir angelegentlich zu, der wiein Berlin so auch in Varzin
reichlich mit allen möglichen Leckerbissen und „Delikatessen“ besetzten
Abendtafel zuzusprechen. Als sie mich nötigen wollte, ein zweites und
drittes Glas schweres Kulmbacher Bier (Liebesgabe) zu leeren, wehrte der
Fürst launig ab mit dem Bemerken: „Ich vermute, daß Herr von Bülow
wie sein Vater, dem er übrigens sehr ähnlich sieht, nur daß er schlanker ist,
dem Alkohol nur mäßig huldigt, was ich übrigens lobe, wenn ich auch
selbst auf einem andern Standpunkt stehe.“ Die Rede kam auf Berliner