ZWISCHEN ZWEI KLIPPEN 557
bezahlen, und die einzige, wirkliche Gewinnerin würde die Revolution
sein. Napoleon hat auf St. Helena gesagt, Europa würde nach seinem Sturz
entweder kosakisch oder republikanisch werden. Ich glaube, daß, wenn der
Kurmärker und der Kosak aneinanderkommen, Europa republikanisch
werden könnte. Der delikate Punkt in unserem Verhältnis zu Rußland ist
natürlich Österreich. Wir können Österreich nicht überrennen und zer-
schlagen lassen. Wir dürfen uns aber ebensowenig durch Österreich
in einen Krieg mit Rußland treiben lassen. Zwischen diesen bei-
den Klippen durchzukommen, ist eine Sache der Geschicklichkeit und Kalt-
blütigkeit, ungefähr so, wie zu verhindern, daß zwei Züge aufeinander-
fahren. Der Weichensteller muß die Augen offen und eineruhige Hand haben.
Am schwierigsten zu behandeln sind die Magyaren, weil sie so hitzig sind.
Sie sind für uns die beste Stütze in unserem Verhältnis zur habsburgischen
Monarchie, aber sie sind auch diejenigen, die gegenüber Rußland am
meisten zu übertriebenem Mißtrauen und zu Unvorsichtigkeit neigen.
Übrigens hat es Gott in seiner Weisheit so eingerichtet, daß die Völker des
Orients, der bekanntlich auf der Wiener Landstraße anfängt, sich unterein-
ander nicht ausstehen können. Die Magyaren und die Rumänen, die Kro-
aten und die Serben, die Türken und die Bulgaren, die Tschechen und die
Slowaken, die Hellenen und die Albanesen hassen sich untereinander noch
mehr, als sie den Deutschen hassen.“
Ich hatte mit gespannter Aufmerksamkeit zugehört, mit unbegrenzter
Bewunderung. Ich ließ mich aber dabei nicht in meinem Frühstück stören,
sondern verzehrte ruhig und mit Behagen meine Eier, das geröstete Brot
und einen geräucherten Hering, den mir die gute Fürstin auf mein Zimmer
hatte bringen lassen. Als ich im Laufe des Nachmittags mit Bill einen Spa-
ziergang unternahm, sagte er mir: „Es wird Sie freuen, daß mein Vater sich
freundlich über Sie ausgesprochen hat. Namentlich hat ihm gefallen, daß
Sie ruhig Ihre Eier weiteraßen. ‚Er hat gute Nerven‘, meinte er, ‚er gefällt
mir überhaupt.“ “
Am nächsten Tage kam Fürst Bismarck nicht mehr auf Fragen der aus-
wärtigen Politik zurück. Dagegen erging er sich im Familienkreise vor mir
in heftigen Äußerungen über seine innern Gegner. Er denke nicht daran,
ein autokratisches Regiment zu führen, wie ihm das täglich vorgeworfen
würde. Ein solches würde ganz anders aussehen als der jetzt in Deutschland
bestehende Zustand. Er wisse sehr gut, daß in Deutschland in der zweiten
Hälfte des neunzehnten Jahrhunderts ein absolutistisches und autokra-
tisches Regime einfach unmöglich wäre, auch abgesehen davon, daß ihm
ein solches nie als Ideal erschienen sei. Ein parlamentarisches Regime
erschiene ihm aber ebenso unmöglich. Unsere Fraktionen besäßen weder den
Patriotismus der Franzosen noch den gesunden Menschenverstand der
Bismarcks
innerer
Gegner