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DIE HERRIN LIEBE
Nicht so, wie sich das feige Volk ihn malet,
Begleitet er zuweilen
Den kleinen, zarten Liebesgott getreulich.
Da sieht man sie gesellt die Welt durcheilen,
Zum Trost für weiser Herzen einsam Schmachten.
Und weiser wird niemals ein Herz erscheinen
Als das des Liebenden, noch mutbeseelter,
Das Leben zu verachten,
Und nie so gern ertragen wir Gefahren
Für andere Herren als für die Herrin Liebe.
Die deine Hilf erbaten,
O Liebe, sehn, erwacht zu höherm Triebe,
Den Mut, und klug in Taten,
Nicht in Gedanken bloß, wie sonst sie pflegen,
Sind dann die Menschenkinder allerwegen.
Erwachen, die da schliefen,
Die Regungen der Liebe,
Aufs neue wieder in des Herzens Tiefen,
Da meldet seltsam sich zugleich mit ihnen
Ein lebensmüdes Sehnen nach dem Tode.
Nicht weiß ich wie. Doch allen so erschienen
Ist dies als echten Liebens erste Wirkung.
Vielleicht erschreckt das Auge
Sodann die Öde dieser Weltumzirkung.
Vielleicht ist schal die Farbe dann den Blicken
Des Menschen, ohne jenes
Unendliche und Neue,
Das einzig ihn vermöchte zu beglücken!
Und großen Lebenssturm um seinetwillen
Sieht er voraus und trachtet
Nach Ruh, strebt, in den Hafen sich, den stillen,
Zu flüchten vor dem wütenden Verlangen,
Das ihn gewittergleich erfüllt mit Bangen.
Und dann, wenn überwunden
Ihn ganz die Macht, die hehre,
Und in der Brust ihm tobt zu allen Stunden
Das Leid — oh, wieviel Male
Ruft dann sein Herz, das schwere,
Herbei den Tod, zum Trost für seinen Kummer!
Wie oft des Abends und wie oft im Strahle
Des Morgens, stets noch unerquickt vom Schlummer,
Meint er beglückt sich, wenn’s vergönnt ihm wäre,
Nie wieder zu erheben
Vom Lager sich, nie mehr das Licht zu schaun!