Full text: Bernhard Fürst von Bülow - Denkwürdigkeiten. Vierter Band. Jugend- und Diplomatenjahre. (4)

BISMARCK UND PRINZ WILHELM 567 
erkrankt. Die Ärzte gaben wenig Hoffnung. Jetzt saß sie noch, blaß und 
mit fiebernden Augen, an der Abendtafel. Als sie sich zurückgezugen 
hatte, erzählte ich ihren Eltern, wie sehr meine Eltern unter dem Verlust 
ihrer einzigen Tochter gelitten hätten. Herr von Giers brachte mich selbst 
zur Bahn zurück. Ich hielt es für das klügste, nach dem Rat, den Mephisto 
im „Faust‘ dem Schüler erteilt, den Augenblick zu ergreiten. Ich erzählte 
dem Minister ohne Umschweife oder Finasserie, was mir Bill Bismarck 
geschrieben hatte. Giers überlegte einen Augenblick, dann sagte er mir: 
„Jch bin Ihnen für Ihre Offenheit dankbar. Auch ich würde eine Zusammen- 
kunft der drei Kaiser für gut halten, für die Kaiser selbst, für ihr gegen- 
seitiges Verhältnis un.« auch für die Galerie. Ich will sehen, was sich machen 
läßt.“ Bald nachher bat mich Herr von Giers auf das Ministerium des 
Äußern und eröffnete mir, daß sein Souverän zugestimmt habe. „Sans 
enthousiasme! Il ne s’emballe guere. Il ne perd jamais son @quilibre, son 
phlegme, si vous voulez. Il accepte, mais a la condition qu’on ne lui deman- 
dera pas de pronvoncer un discours. Il a horreur des discours.“ 
Als ich diese Antwort nach Berlin gemeldet hatte, erhielt ich ein Tele- 
gramm des Kanzlers, das mich aufforderte, auf einige Tage nach Berlin zu 
kommen. Kaiser Franz Josef hatte sich inzwischen mit der Begegnung und 
dem für sie gewählten Ort, dem kaiserlichen Jagdschloß Skierniewice im 
Gouvernement Warschau, einverstanden erklärt, und der Botschafter von 
Schweinitz war auf seinen Posten zurückgekehrt. In Berlin eingetroffen, 
wurde ich vom Fürsten Bismarck zu Tisch gebeten. Ich traf bei ihın den 
Prinzen Wilhelm, der mich mit beinahe stürmischer Freundlichkeit 
begrüßte, die aber weniger nıir galt als meinem Bruder Adolf, der, seit vier 
Jahren sein Adjutant, ihm ein persönlicher, von ihm ungemein geschätzter 
und geliebter Freund geworden war. Fürst Bismarck, dessen Argwohn nie 
schlief, was bei vielen trüben Erfahrungen, die er in seinem hervischen 
Leben gemacht hatte, begreiflich war, sah während einiger Sekunden ver- 
wundert und nicht ohne Mißtrauen auf den Prinzen und auf mich. Dann 
nahm er mich beiseite und frug mich nach meinen ersten Eindrücken in 
Petersburg. Ich eutgegnete: „Als ich das letztemal in Petersburg weilte, im 
Winter 1875/76, lebten wir mit Rußland in einer Liebesebe. Jetzt ist daraus 
eine Vernunftehe geworden.“ Der Fürst, der das Verhältuis zu unserem 
nördlichen Nachbarn offenbar ähnlich beurteilte, lachte und meinte: ‚Das 
könnte stimmen.“ Daun sagte er mir, er wünsche, daß ich der Drei-Kaiser- 
Begegnung in Skierniewice beiwohne. Ich möge mich dem Gefolge unseres 
Kaisers anschließen. Er selbst würde seine beiden Söhne mitnehmen, damit 
die auch einmal etwas zu sehen bekämen. Als Prinz Wilhelm ging, äußerte 
er, er könne nicht länger bleiben, weil er „leider“ bei seinen Elteru erwartet 
werde. Der Fürst antwortete in dem sehr förmlichen Ton, der ihm, wenn er 
Bericht 
Bülows in 
Berlin
	        
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