EINE HOTELRECHNUNG ALS BISMARCK-BRIEF 571
manchem anderen österreichischen Diplomaten, als prononcierter Russen-
freund. Der österreichisch-ungarische Minister des Äußern, Graf Gustav von
Kälnoky, war nicht so brillant wie weiland Graf Gyula Andrässy. Immer-
hin trug auch er Husarenuniform und gefiel dem Fürsten Bismarck besser
als sein Vorgänger, der farb- und glanzlose, lederne Wiener Bürokrat
Haymerle. Kälnuky war klein und hatte eine Stumpfnase. Meine Freundin,
die Fürstin Elise Salm-Liechtenstein, meinte in ibrer drolligen Wiener Art
von ihm: „Der Gusti Kälnoky mit seinem Stumpfnäschen schaut aus wie
ein richtiges Stubenmadel.““ Kälnoky war ein geschulter Diplomat, erfahren
und vorsichtig. Er hielt sich an den alten Wahlspruch seiner Familie: „Nec
timide, nec tumide.‘“ Innerlich ein schwarz-gelber Österreicher, begriff er
doch die Notwendigkeit, mit den verschiedenen Nationalitäten des habs-
burgischen Reiches im Rahmen der Lebensnotwendigkeiten der Monarchie
auszukomınen. Seine Familie stammte aus Siebenbürgen, wo sie dem
Szekler Uradel angehörte, war aber in einigen Zweigen unter Maria Theresia
nach Mähren gewandert. Das erleichterte es dem Minister, sich vor den
Delegationen bald als Zisleithanier, bald als Transleithanier zu geben.
Kälnoky war, bevor er Minister des Äußern wurde, österreichisch-ungari-
scher Botschafter in Rußland gewesen und sah mit Recht in der Aufrecht-
erhaltung friedlicher Beziehungen zwischen Österreich und Rußland eine
Lebenstrage für das Donaureich und für den Weltfrieden.
Nach herzlichem Abschied von Herbert Bismarck begab ich mich über
Warschau auf meinen Posten zurück. In Warschau, wo ich mich zwei
Tage aufhielt, fand ich zwei liebenswürdige Führer: den deutschen General-
konsul von Rechenberg und den russischen Rittmeister Graf Fersen.
Rechenberg führte mich nach dem einstigen polnischen Königsschloß
(Zamek Krölewski) mit den historischen Reichstagssälen und nach dem
Brühlschen Palais. Am besten gefiel mir das auf einer Insel in einem künst-
lichen See gelegene, von einem reizenden Park umgebene Lustschloß
Lazienski. In Rechenberg lernte ich wieder einmal ein Original kennen.
Julius Freiherr von Rechenberg gab sein Alter auf siebzig Jahre an. In
Wirklichkeit soll er damals schon über achizig Jahre gezählt haben. Jeden-
falls hatte er 1824 als Philhellene bei Missolunghi gefochten. Die Polen
fürchteten Rechenberg, teils weil sie wußten, daß er sie und ihre Hinter-
gedanken kannte, teils weil er, um einen größeren Nimbus um sich zu ver-
breiten, ihnen erzählte, daß er in direkter und reger Korrespondenz mit dem
Fürsten Bismarck stünde. Als er einmal im Warschauer Klub aus einem
angeblichen Brief des großen Kanzlers einige hochinteressante Stellen vor-
las, sah ein neugieriger Pole ihm über die Schulter und konstatierte, daß
Rechenberg in Wirklichkeit nicht einen Brief des Fürsten Bismarck vor
sich hatte, sondern eine Hotelrechnung. Was er der staunenden Korona
In Warschau