Bülows
Urgroßvater
Wolf
Baudissin
44. WOLF BAUDISSIN
gewandt. Der jüngere Zweig der Familie kehrte später nach Österreich und
zum Katholizismus zurück. Aus ihm gingen zwei bekannte österreichische
Staatsmänner des achtzehnten Jahrhunderts hervor, beide Staats- und
Konferenzminister in „inländischen Geschäften‘, beide Vliesritter, der eine
mit einer Schwarzenberg, der andere mit einer Dietrichstein verheiratet.
Ihre Bilder in langer Allongeperücke, die meine Großmutter mir hinterließ,
hängen bei mir in Flottbek. Der ältere, dem evangelischen Glauben treu-
gebliebene Zweig des Hauses Zinzendorf schenkte dem protestantischen
Teil der Christenheit den Grafen Nikolaus Ludwig, den edlen Stifter der
Herrnhuter Brüdergemeinde, die alle Glieder der verschiedenen evan-
gelischen Richtungen in inniger Liebe zum Heiland vereinigen will und
deren Losungen ich, wie viele andere evangelische Christen, täglich lese.
Mein Urgroßvater Karl Ludwig Baudissin mußte schon in seiner
Jugend Kursachsen verlassen, weil er als Major in einem ritterlichen Ehren-
handel einen Grafen Gersdorff erstochen hatte, ungefähr wie Faust den
armen Valentin ersticht: „Nun ist der Lümmel zahm!“‘ Nach ausgestan-
dener Festungshaft trat er in dänischen Dienst, fungierte fünf Jahre als
dänischer Gesandter am preußischen Hof und starb als Gouverneur von
Kopenhagen. Seine einzige Tochter heiratete meinen Großvater Adolph
Bülow. Auch der hat in seiner Jugend ein Duell gehabt, bei dem er seinen
Gegner erschoß. Daran hätte ich im Reichstag meine alldeutschen Gegner
erinnern können, Liebermann von Sonnenberg und Hasse, wenn sie in mir
den Raufbold vermißten. Ein Bruder meiner Großmutter war Graf Wolf
Baudissin. Ein Freund von Ludwig Tieck und August Wilhelm Schlegel,
unterstützte er beide bei der Übersetzung Shakespeares und übertrug allein
zwölf Stücke ins Deutsche, unter ihnen „König Lear“, „Othello“, ‚Hein-
rich VIII“, „Macbeth“, „Coriolan“, „Der Widerspenstigen Zähmung“,
„Antonius und Kleopatra‘“, „Maß für Maß“. Von englischen Dichtern
übersetzte er außer Shakespeare mit Geschmack und Geist Ben Jonson,
von französischen Moliere und Ponsard, von Italienern Gozzi und Goldoni.
Gustav Freytag hat dem Grafen Wolf Baudissin ein schönes biographisches
Denkmal gesetzt. Ich habe meinen lieben Onkel Wolf sowohl in seiner Stadt-
wohnung zu Dresden, aus deren Fenstern man auf den Großen Garten
blickte, wie auf seinem holsteinischen Gute Rantzau besucht, wo er die
Hochsommer zu verleben pflegte. Er war, was die Franzosen einen Causeur
nennen, ebenso anziehend und fesselnd in der mündlichen Unterhaltung
wie gewandt im schriftlichen Ausdruck. — Er erzählte mir von seiner diplo-
matischen Karriere als Sekretär seines Onkels, des Grafen Magnus Dernath,
der 1810 als dänischer Gesandter in Stockholm wirkte. Wolf Baudissin
hatte dort die Ermordung des Reichsmarschalls Fersen erlebt, der die
Flucht des Königs Ludwig XVI. nach Varennes in die Wege geleitet und