Full text: Bernhard Fürst von Bülow - Denkwürdigkeiten. Vierter Band. Jugend- und Diplomatenjahre. (4)

582 HÖDUR 
der Debatte mit seinen Gegnern abrechnet, geht er auf die Ausführungen 
des Pruvinz-Mirabeau überhaupt nicht ein, da sie zu unbeträchtlich seien. 
Als dies im Heimatsnest bekannt wird, entsteht allgemeine und große 
Erregung: „Was! Unser Abgeordneter wird vom großen Bismarck nicht 
einmal einer Antwort gewürdigt? Was muß der für ein Schaf sein! Denn 
Bismarck weiß schließlich doch alles am besten!“ Die Dummheit des 
Hödur, des Wählers, der sich immer wieder von dem listigen Loki mit der 
Hornbrille auf der Nase und dem Zettelkasten auf dem Schreibtisch ver- 
führen läßt, ist selten amüsanter persifliert worden. Und einer der feinsten 
Geister dieser Zeit, der Verfasser der „Sperlingsgasse‘“ und des „Hunger- 
pastor“, Wilhelm Raabe, schrieb: „Deutsches Volk? Ach was! Deutsch 
redender oder schwätzender Bevölkerungsbrei, für einen kurzen Augenblick 
von ein paar großen Männern in eine staatliche Form gepreßt! Morgen 
vielleicht sind sie tot, diese Männer, und der Brei fließt wieder auseinander, 
. und die Fremden mögen dreist wieder von allen Seiten mit ihren Löffeln 
Fackelzug 
Gratulation 
im Reichs- 
kanzlerpalais 
vorrücken, zur Wiederaufrichtung und Herstellung der hergebrachten 
Freiheiten teutscher Nation.‘ Eine ungerechte Kritik, soweit es sich um die 
breite Masse des deutschen Volkes handelt, um Bauern und Arbeiter, um das 
fleißig schaffende Bürgertum. Aber eine leider nur zu berechtigte Klage 
über viele deutsche Intellektuelle, denen wie die leidenschaftliche Vater- 
landsliebe der Romanen so auch der unerschütterliche Nationalstolz und 
der praktische Sinn der Amerikaner und Engländer versagt ist und die 
immer wieder in Eigenbrötelei, blinden Doktrinarismus und Starrköpfigkeit 
verfallen. 
Am Abend des 31. März 1885 fand ein Fackelzug statt, der durch die 
Wilhelmstraße am Reichskanzlerpalais vorbeimarschierte. Bismarck stand 
am Fenster einer im ersten Stock des linken Flügels des Reichskanzler- 
palais gelegenen Eckstube. Damit die Vorüberziehenden ihn gut sehen 
könnten, hielt der starke Herbert während des ganzen Vorbeimarsches eine 
Lanıpe über dem gewaltigen Haupt seines Vaters. Aus den Augen der 
vorübermarschierenden Fackelträger leuchtete Freude, leuchtete Be- 
geisterung. Der Ausdruck der Züge, der Augen, des Antlitzes des Fürsten 
Bismarck läßt sich nicht schildern. Den Eindruck, den dieses Antlitz am 
Abend des 31. März 1885 auf mich machte, habe ich nur wiederempfunden, 
wenn ich vor dem Hamburger Denkmal Bismarcks stand, das Hugo Lederer 
geformt hat. 
Am Vormittag des 1. April 1885 empfing der Fürst im großen Saal des 
Reichskanzlerpalais die Gratulanten. In demselben Saal, in dem sieben 
Jahre früher der Berliner Kongreß getagt hatte und in dem dreißig Jahre 
später Bethmann einer polnischen Deputation in unseliger Verblendung 
die Wiederherstellung eines polnischen Reichs in Aussicht stellen sollte.
	        
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