DER UNWAHRSCHEINLICHE KONSENS 585
seine Freundschaft für mich und der Wunsch, mir diese Freundschaft zu
beweisen; auf der andern Seite der psychologisch begreifliche Gedanke,
daß mir ein Glück zuteil werden sollte, das ihm versagt geblieben war, das
Glück, die geliebte Frau als Lebensgefährtin heimzuführen uud ihr ein
neues Leben aufzubauen. Er hatte die Fürstin Elisabeth Carolath leiden-
schaftlich geliebt. Er liebte sie noch und hat, wie ich glaube, nie aufgehört,
sie zu lieben. Er ist auch nie das Gefühl losgeworden, daß er gegenüber
dieser großen Liebe seines Lebens versagt habe, daß sein Verhalten in
dieser Lebenskrise weder klug noch ganz korrekt gewesen war. Durch die
Erinnerungen des Fürsten Philipp Eulenburg ist später über diesen Roman
eine Reihe von Einzelheiten bekanntgeworden, um die damals nur ein enger
Kreis wußte. Nach langem Schweigen sagte Herbert endlich zu mir: „Ich
kenne die Gräfin Marie Dönhoft. Sie ist eine begabte, eine herzensgute, eine
ungewöhnlich reizende Dame. Aber sie ist Ausländerin, und wir wollen und
sollen an dem Grundsatz festhalten, daß unsere Diplomaten keine Aus-
länderinnen heiraten dürfen. Sie ist überdies Katholikin. Sie ist von ihrem
ersten Mann geschieden, und dieser Mann gehört unserm diplomatischen
Dienste an. Sie ist die Freundin der Kronprinzessin, der Mimi Schleinitz,
der Cosima Wagner, der Frau von Helmholtz und anderer, meinem Vater
feindlich gesinnter Weiber. Ich glaube nicht, daß mein Vater zu dieser Ehe
seinen Konsens geben wird. Ich kann ihm auch nicht dazu raten, ich werde
ihm sogar mit aller Entschiedenheit davon ahraten.““
Wenn ich an jene Unterredung mit meinem lieben Altersgenossen und
Freund Herbert Bismarck zurückdenke, so erkenne ich vor allem, wie
wenig der Mensch imstande ist, vorauszusehen, wie sich die Zukunft gestalten
und wie er selbst in kommenden Zeiten handeln wird. Herbert hat später
die Komteß Marguerite Hoyos geheiratet, deren Vater halb Österreicher,
halb Ungar und deren Mutter eine Stockengländerin war. Sein ältester Sohn
hat eine Ausländerin, die Schwedin Ann-Marie Tengbom geheiratet. Das
konnte ich freilich an jenem Abend bei Borchardt nicht wissen. Wohl aber
sagte ich Herbert, daß die freundschaftlichen Beziehungen der Gräfin
Marie zur Kronprinzessin, zu Cosima Wagner, zu Frau von Helmholtz, zur
Gräfin Schleinitz auf rein künstlerischer Grundlage beruhten und mit
Politik gar nichts zu tun hätten. An ihrer ausländischen Herkunft Anstoß
zu nehmen, scheine mir gerade bei ihr kleinlich, die in Bildung und
Gesinnung ganz deutsch geworden sei. Was ihre katholische Konfession
angehe, so sei ich selbst evangelischer Christ. aber ohne Vorurteile und
ohne Unduldsamkeit. Wenn der Umstand, daß Graf Karl Dönhoff dem
diplomatischen Dienst angehöre, in den Augen meiner Vorgesetzten ein
Grund sei, mir den Heiratskonsens zu verweigern, so verließe ich den
Dienst. Ich schloß die Diskussion, indem ich mit Ruhe, aber bestimmt, zu
Herbert
Bismarcks
Bedenken