AUF DER NEWA 589
erst zur Gräfin Beauharnais, dann zur Herzogin mit dem Prädikat „Durch-
laucht‘ erhoben worden. Zeneide, allgemein Sina genannt, war strahlend
schön. Der Großfürst Alexei Alexandrowitsch, der dritte Sohn des
Kaisers Alexander II., huldigte ihr ohne jede falsche Scheu. Er dachte mit
dem französischen Sprichwort: Oü il y a de la göne il n’y a pas de plaisir.
Wenn er mit Sina am Arm durch die Säle des Winterpalais schritt, pflegte
Schweinitz lächelnd zu sagen: „Diese Unbefangenheit erfreut mein
rcaktionäres Herz, denn sie erinnert an die schöne Zeit von Ludwig XIV.
und August dem Starken.“ Alexei uud Eugen waren eifrige Besucher des
Jachtklubs, wo auch ich häufig eine Partie Ecarte spielte. Es kam vor, daß
bei der zwischen ihnen herrschenden Gütergemeinschaft Eugen im Klub
mit der Admiralsmütze von Alexei erschien und Alexei mit der Infanterie-
mütze von Eugen. Sina aber scufzte, als eine Freundin sie anf ihr an-
gegriffenes Aussehen anredete: „Que voulez-vous, ma chere? Je suis aimee
par deux hercules.““ Großfürst Alexei und sein Vetter Eugen Leuchtenberg
waren beide ungewöhnlich stattliche Erscheinungen.
Wir pflegten uns für unsere nächtlichen Sommerfahrten auf der Newa
um Mitternacht einzuschiffen. Die Fahrt auf dem majestätischen, klar und
sanft fließenden Strom führte uns durch Inseln und Inselchen. Gegen drei
Uhr landeten wir auf irgendeinem Eiland. Der mitgenommene Proviant,
alle Leckerbissen der russischen „Sakuska“ (Vorspeise bei einem Diner)
wurden aufgetischt. Kam die Morgenkälte, so wurde ein Feuer aus rasch
zusammengetragenen Zweigen angezündet, an dem wir uns wärmten.
Bisweilen wurden auch Sänger mitgenommen, die über die Wasser
melodische, melancholische Volkslieder ertönen ließen. Vor sechs Uhr war
ich selten wieder zu Hause, aber um elf Uhr erschien ich pünktlich auf der
Botschaftskanzlei, um meinen Dienst zu tun, während meine russischen
Freunde und Freundinnen bis nachmittags in den Federn blieben. „Einer
der größten Reize des Lebens besteht darin, daß man aus der Nacht den
Tag und aus dem Tag die Nacht macht‘, pflegte Missy Durnow zu sagen.
„Tout plutöt, que la monotonie, l’affreuse regle.““
Und so ging der Sommer vorüber, und es kam der Herbst. Meine Ge-
danken weilten in Rom, bei der Gräfin Marie. Ihre Mutter hatte mir
geschrieben, daß Minghetti für den Ausgang des Annullationsverfahrens
guten Mutes sei. Man habe einen Formfehler entdeckt, der bei dem
Abschluß der ersten Ehe der Gräfin Marie vorgekommen sei und der eine
Handhabe für die ÄAnnullierung biete. Donna Laura hatte, vun ihrer Tochter
begleitet, allen Kardinälen, in deren Händen die Entscheidung lag, einen
Besuch abgestattet und war von den „Porporati“ mit Güte und Liebens-
würdigkeit empfangen worden. Einer der Herren, klein von Statur, hatte
mit gütigem Lächeln zu den Damen gesagt: „Ma, Signore mie, perch®
Die Annullie-
rung der Ehe
Dönhoff