Letzte Unter-
redung mit
Minghetti
Minghettis
Tod
394 EIN BRIEF DER IDEALISTIN
Aufbietung seiner letzten Kräfte im Rathaussaal seine wie immer form-
vollendete und gedankenreiche Rede beendigt hatte, sagte er zu seiner Frau:
„Nun kann ich ruhig sterben. Turin und ich, wir haben uns wiedergefunden.“
Der Besuch seiner geliebten Stieftuchter war ihm eine große Freude. Er
sagte mir, daß er ruhig sterbe, da er glaube, daß ich sie glücklich maclıen
würde. Daß er dieses Zutrauen zu mir hatte, bedeutet für mich auch in der
Erinnerung mehr, als wenn er mir eine politische Zukunft prophezeit hätte.
Davon war keine Rede. Minghetti hatte seine Zustimmung zu unserer
Heirat gegeben, nicht weil er glaubte, seine Stieftochter komme in die große
Karriere. In der letzten Unterredung, die ich mit ihm hatte, sagte er zu mir:
„Das Glück des Lebens hängt nicht von der äußeren Stellung ab. Ich denke
mir, daß Sie vom Botschaftsrat in Petersburg etwa Generalkonsul in War-
schau werden könnten, dann vielleicht diplomatischer Agent in Ägypten
und mit der Zeit Gesandter in Athen. Das wäre ein hübscher Abschluß.“
Auch meine Frau hat nicht erwartet, daß ich das machen würde, was man
gemeinhin eine Karriere nennt. Bald nach unserer Heirat erhielt sie einen
Brief von ihrer und später auch meiner verehrten und teuren Freundin
Malvida von Meysenbug, in dem es hieß: „Sie schreiben mir, daß Sie
Ihren Mann leidenschaftlich liebten, obschon Sie wohl wüßten, daß er nicht
besonders begabt wäre. Ich glaube, daß Sie ihn geistig unterschätzen. F'ran-
zosen, denen ich im vergangenen Herbst in Paris bei meiner Pflegetochter
Olga und deren Mann, dem Historiker Gabriel Monod, dem Professor am
Collöge de France und Direktor der Ecole des Hautes Etudes, begegnete,
sprachen mir mit großer Anerkennung von Bülow und erzählten mir, daß
Gambetta ihm eine bedeutende Zukunft prophezeit hätte.“ Meine Frau
zeigte mir mit der Harmlosigkeit, die eine ihrer vielen guten Eigenschaften
ist, diesen Brief und meinte dazu: sie bliebe dabei, daß es vor allem darauf
ankomme, daß wir uns von Herzen liebhätten. Im Grunde hatte sie darin
gewiß recht.
Am 10. Dezember 1886 starb Minghetti. Er empfing vor seinem Tode
den Besuch des Königs Humbert und der Königin Margherita. Als sie ein-
traten, nahm der Sterbende das schwarze Käppchen ab, das er auf dem
Kopfe trug, und rief mit leiser Stimme: „Viva la casa di Savoia!““ Dann
empfing er als gläubiger Katholik mit großer Andacht die heiligen Sterbe-
sakramente, und seine reine und edle Seele ging hinüber, dorthin, wohin ihm
der heilige Franziskus, Dante und Thomas a Kempis den Weg gewiesen
hatten. In Italien sind ihm zwei schöne Denkmäler errichtet worden: in
Rom vor dem Palazzo Braschi und in Bologna vor der Universität.
In Rom gab mir mein früherer Chef, Herr von Keudell, ein Diner, bei
dem sich ein komischer Zwischenfall ereignete. Nachdem Keudell, der, wie
ich schon früher einmal angedeutet habe, kein Cicero war, mich und meine