Full text: Bernhard Fürst von Bülow - Denkwürdigkeiten. Vierter Band. Jugend- und Diplomatenjahre. (4)

Sir Robert 
Morier 
598 EINE ERZÄHLUNG BAZAINES 
diplomatische Laufbahn von Nutzen sein werden. Die Diplomaten aller 
Länder bilden in gewisser Hinsicht eine große Koterie, wo einer den andern 
kennt und jedenfalls vom andern gehört hat. Am liebsten habe ich, wie ich 
bei Besprechung meiner Tätigkeit in Athen gelegentlich erwähnte, immer 
mit meinen englischen Kollegen verkehrt. Ich erinnere mich gern an Dering, 
Herbert, Harding, Grosvenor, Welby, Townley, Rodd, Wyndham, Lascelles, 
Browne, Vansittart und manche andere. Als ich 1875 zum erstenmal nach 
St. Petersburg kam, war Sir Edward Thornton dort englischer Botschafter. 
Sehr verschieden von diesem biederen Schotten war der englische Bot- 
schafter, den ich 1884 an der Newa antraf, Sir Robert Morier. Bismarck 
soll einmal gesagt haben, dem Russen sei nur zu trauen, wenn er das 
Hemd über der Hose trage, und dem Engländer, wenn er kein Französisch 
spreche. Morier sprach nicht nur Französisch, sondern er war der Sohn eines 
aus Neufchätel nach England eingewanderten Hauslehrers. Intelligent, 
kenntnisreich und insinuant, hatte Sir Robert schon in jungen Jahren die 
Aufmerksamkeit des Prinzen Albert von Koburg auf sich gezogen. Wie alle 
Freunde des Prince Consort, wurde auch er nach dessen Tode von der 
Königin Victoria protegiert. Als Gesandter an kleineren deutschen Höfen, 
in Koburg, Darmstadt und schließlich in München, war erin alle Schwächen 
und Narrheiten des deutschen Partikularismus eingedrungen. Er war einer 
der wenigen Engländer, die schon vor Sedan, schon lange vor der Zeit, wo 
die deutschen Fortschritte in Industrie und Handel die englische Eifersucht 
zu erwecken begannen, lange vor dem Bau unserer Flotte die Ansicht ver- 
traten, daß ein schwaches und als solches bescheidenes Deutschland dem 
englischen Interesse am besten entspräche. Immerhin wäre wohl auch mit 
Morier auszukommen gewesen, wenn er nicht durch das Ungestüm von 
Herbert Bismarck tödlich gekränkt worden wäre. Mein alter Kriegskamerad 
Deines hatte als Militärattache in Madrid die Bekanntschaft von Bazaine 
gemacht, der dort nach der Flucht aus seiner Haft auf der Insel Sainte- 
Marguerite im tiefsten Elend lebte. Der Ex-Marschall erzählte Deines, er sei 
während des Deutsch-Französischen Krieges als Oberbefehlshaber der 
Metzer Armee von Morier, dem damaligen englischen Gesandten in Darm- 
stadt, über deutsche Verhältnisse und insbesondere über deutsche mili- 
tärische Vorgänge auf dem laufenden gehalten worden. Im August 1870 
halye er von Morier die erste Nachricht von dem Vormarsch der deutschen 
Heere über die Mosel erhalten. War dem wirklich so? Hatte Morier wirklich 
eine so häßliche Rolle gespielt? Oder hatte Bazaine gelogen? Jedenfalls 
hätte Herbert besser getan, die fragliche Insinuation nicht in die Presse zu 
bringen. Beweise für die Anklage hatten wir nicht. Bazaine galt der Welt 
nicht als einwandfreier Zeuge. Die englische Presse trat nach englischer Art 
und mit englischem Patriotismus einstimmig und leidenschaftlich für die
	        
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