EINE DÄNISCHE PATRIOTIN 47
dies aber im Gegensatz zu Faust nie bereut. Er dozierte in Straßburg,
Gießen und Marburg und seit 1894 als Nachfolger des Orientalisten Dill-
mann in Berlin alttestamentliche Exegese. Er schrieb über die semitischen
Religionen. Er ist ein sehr gelehrtes Haus und imponierte mir durch sein
Wissen schon vor langen Jahren, als wir 1868/69 gleichzeitig in Leipzig
studierten. Es ist zweifellos, daß er dort seine Kollegien fleißiger besuchte
als ich die meinigen. Wir begegneten uns wieder in Berlin, wo ich ihn wäh-
rend meiner Reichskanzlerzeit oft sah. Er war nach meinem Rücktritt im
Winter 1912/13 Rektor der Berliner Universität. Er vereinigt tiefe Bildung
mit einem subtilen Geist und nie versagender Herzensgüte. Er ist beinahe
zu gut für diese schlechte Welt. Alle Streberei, alle Eitelkeit, an denen es
auch in akademischen Kreisen leider nicht fehlt, lagen ihm stets ganz fern.
Alle drei Brüder meiner Großmutter standen im schleswig-holsteinischen,
im deutschen Lager. Anders meine Großmutter. Sie blieb bis zu ihrem
1874 mit vierundachtzig Jahren erfolgten Tode eine Tochter der alten Zeit:
streng legitimistisch, tief gläubig, allen Neuerungen abgeneigt, ohne Ver-
ständnis für Nationalismus und nationalistische Gedankengänge, voll Miß-
trauen, ja Unduldsamkeit gegenüber liberaler Weltanschauung. 1459 war
Christian von Oldenburg, „Christian der Glückselige‘“‘, wie er in der Ge-
schichte des Hauses Oldenburg hieß, als Christian I. König von Dänemark
und gleichzeitig mit Bewilligung der Stände Herzog von Schleswig und
Holstein geworden. So sollte es nach der Ansicht meiner Großmutter immer
bleiben, der dänische Gesamtstaat sollte aufrechterhalten werden. Fast ein
halbes Jahrhundert hat sie in der kleinen Stadt Plön ein bescheidenes
Häuschen bewohnt. Zu ebener Erde lag ihr behagliches, aber nicht allzu
großes Wohnzimmer, daneben ein nicht viel größeres Eßzimmer und ein
Schlafzimmer für diejenige ihrer Töchter, die gerade zum Besuch bei ihr
weilte. Im ersten Stock befanden sich drei Schlafzimmer, das erste für die
Großmama, daneben das ihrer alten und bewährten Dienerin, im dritten
hauste ein eisgrauer Kammerdiener, der mit Vorliebe von dem Schrecken
erzählte, den im Jahre 1807 das Bombardement von Kopenhagen durch den
bösen Admiral Nelson auch in Holstein hervorgerufen habe. „Wenn die
englischen Admiräle nur nicht Kiel bombardieren‘“‘, habe man sich zuge-
flüstert, „und schließlich gar uns in Plön.“
Männliche Gäste meiner Großmutter wurden unter dem Dach unter-
gebracht. Ich pflegte das Zimmer zu erhalten, wo mein Vater als Knabe
gewohnt hatte. Er zeigte mir seinen Waschkrug, dessen Inhalt im Winter
meist gefroren gewesen war, denn die Dachzimmer wurden nie geheizt. Aus
dem Hause trat man in einen kleinen Garten, wo Malven, Rittersporn, Mohn,
Lilien, Reseda, auch Rosen gepflegt wurden und der sanft ansteigend zu einer
Bank führte, von der aus man die blaue Fläche des Plöner Sees erblickte.
Großmutter
Bülow