Bismarck über
die Battenberg-
Affäre
606 KREISRICHTER UND PROFESSOREN
Als wir uns verabschiedeten, sagte uns der Kronprinz, daß er uns zur
Bahn geleiten wolle. Wir fuhren bei dem sehr milden Wetter in einem
offenen Break. An der Bahnstation angelangt, verabschiedete sich der
Kronprinz mit einem freundlichen Händedruck von meiner Frau und mir.
Es war das letztemal, daß ich seine Siegfriedgestalt erblickte, in sein liebes,
gütiges Antlitz sah.
Am nächsten Tage aßen wir in größerem Kreise im Hause Bismarck. Der
Fürst sprach fast nur von der Battenberg-Affäre. Der Enthusiasmus weiter
deutscher Kreise für den Battenberger überraschte ihn nicht. Die Deutschen
hätten die Eigentümlichkeit, sich auch dann für ausländische Vorgänge zu
erhitzen, wenn ihre eigenen Interessen dadurch geschädigt würden. Wer in
Bulgarien regiere, ob Hinz oder Kunz, könne uns vollkommen gleichgültig
sein, nicht aber, wie sich unser Verhältnis zu Rußland gestalte. Das Projekt
der Vermählung der Prinzessin Viktoria mit dem Battenberger sei eine eng-
lische Intrige. Weder der Kaiser noch der Kronprinz wollten von dieser Ver-
bindung etwas wissen, schon weil beide sie mit Recht als eine Mesalliance
ansähen. Er, Bismarck, sei erst recht gegen diese Heirat, weil sie unsere
Beziehungen zu Rußland gefährde. Bismarck zog eine interessante Parallele
zwischen der Situation von 1887 und der Lage der Dinge bei seinem Amts-
antritt. Demokraten und Ultramontane würfen ihm jetzt vor, daß er nicht
für den „edlen“ Battenberger gegen das „böse“ Rußland eintrete. 1863
sei er von der Fortschrittspartei im Preußischen Abgeordnetenhause
beschimpft worden, weil er nicht die Partei der „edlen“ Polen gegen das-
selbe „böse“ Rußland ergriffen hatte. Wenn er 1863 den Ratschlägen von
Schulze-Delitzsch, Duncker, Grabow, Hoverbeck, Waldeck und ähnlichen
„Kannegießern‘“ und „Schwätzern“ gefolgt wäre, würden wir weder 1864,
noch 1866, noch insbesondere 1870/71 erlebt haben. Der Fürst schloß mit
einer sehr bitteren, schr heftigen Betrachtung über die „Dummbeit“ der
deutschen „Kreisrichter“ und „Professoren“. Der Professor wolle politische
Vorgänge „wissenschaftlich“ prüfen und politische Lösungen auf Grund
„wissenschaftlicher Untersuchungen“ finden. Die Politik sei aber keine
Wissenschaft, sundern eine Kunst. Der Kreisrichter betrachte die Politik
wie einen Rechtsfall: ‚„Wer hat recht, wer hat unrecht?“ Das sei ebenso
einfältig.
Kein objektiv Urteilender wird heute bestreiten, daß Fürst Bismarck
mit seinen Klagen und Vorwürfen nur zu recht hatte. Eine andere Frage
ist, ob er die von ihm beklagten Übelstände nicht dadurch hätte mildern
und allmählich beseitigen können, daß er die „Kreisrichter“‘ und ‚Pro-
fessoren“ politisch erzog, indem er ihnen einigen Anteil an der Leitung des
Staates gewährte und, wie dies Cavour in Italien und wie es in England eine
Reihe großer Staatsmänner getan hat, allmählich zu einem verständigen