Full text: Bernhard Fürst von Bülow - Denkwürdigkeiten. Vierter Band. Jugend- und Diplomatenjahre. (4)

Begegnung 
mit 
Waldersee 
XLUl. KAPITEL 
Besuch bei der Mutter in Seelisberg - Mit General von Lo& und General Graf Waldersee 
in Axenstein « Reichstagsauflösung und Septennat - Drohende Kriegsgefahr 1887 
Die innerpolitische Lage und Rußland » Großfürst Wladimir «- Der Rückversicherungs- 
vertrag « Bismarcks letzte große Rede 
m Januar 1887 weilte ich einige Wochen bei meiner Mutter in Seelisberg 
am Vierwaldstätter See. Bald nach meiner Ankunft erhielt ich einen 
Brief meines Kriegsobersten Lo&, der inzwischen General der Kavallerie und 
Kommandierender General des Armeekorps seiner rheinischen Heimat, des 
VIII. Armeekorps, geworden war. Er frug, ob er meine Mutter besuchen 
und einige Tage bei uns verleben dürfe, ein Vorschlag, den wir gern und 
dankbar akzeptierten. Nachdem wir zusammen die alte Wallfahrtskapelle 
Maria Sonnenberg besucht und uns an der herrlichen Aussicht auf das 
Reußtal, die Mythen und den Urner See erfreut hatten, teilte mir Lo& den 
eigentlichen Grund seines Kommens mit. Er wünsche, daß ich die Bekannt- 
schaft des Grafen Alfred Waldersee mache, der mit seiner Frau uns 
gegenüber in Axenstein weile. 
Am nächsten Morgen, einem Sonntag, machten wir uns schon früh auf 
den Weg. Es war ein herrlicher Tag. Während wir erst zum See hinab und 
dann vom See bergauf stiegen, explizierte mir der General, warum er mich 
mit Waldersee in Verbindung setzen wolle. Seine Majestät der Kaiser habe 
kürzlich seinen neunzigsten Geburtstag gefeiert, umgeben von der Liebe und 
Dankbarkeit aller anständigen Deutschen und dem Vertrauen der einsich- 
tigen Ausländer. Wir müßten Gott für jeden Tag danken, den unser alter 
Herr noch lebe. Aber eine sehr lange Regierungszeit könne ihm nicht mehr 
beschieden sein. Sehr bewegt fügte der General hinzu, daß die Erkrankung 
des Kronprinzen, an dem er gleichfalls mit inniger Liebe hing, sehr bedenk- 
lich sei. Lo& sprach das Wort „Krebs“ nicht aus, aber er ließ keinen Zweifel 
darüber, daß es sich um ein überaus ernstes Kehlkopfleiden handele. Prinz 
Wilhelm sei noch nicht dreißig Jahre, recht begabt, aber noch ganz unreif. 
„Ich bin überzeugt‘‘, meinte der General, „daß Prinz Wilhelm, obwohl er 
jetzt, schon um seine Mutter zu ärgern, für Bismarck eine unbegrenzte 
Bewunderung affıchiert, nicht lange mit ihm auskommen wird. Daß er
	        
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