Full text: Bernhard Fürst von Bülow - Denkwürdigkeiten. Vierter Band. Jugend- und Diplomatenjahre. (4)

Ferien ın 
Nieuport 
Eindrücke 
ın Berlin 
XLV. KAPITEL 
Nieuport im Hochsommer 1889 ». Franz Arenberg +» Erste Anzeichen des kommenden 
Sturzes von Bismarck » In Berlin - Unterredung mit dem Chef der Reichskanlei, 
Rottenburg - Diner bei Graf Wilhelm Pourtales, Herbert Bismarck und Hugo Lerchen- 
feld » Rückkehr nach Bukarcst - König Carol über Bismarck » Mein Brief an Phili 
Eulenburg vom 2. IlI. 1890 »- Entlassung Bismarcks (20. III. 1890) » Nichterneuerung 
des Rückversicherungsvertrages mit Rußland »- Russisch-französischer Allianz-Vertrag 
Die deutsche öffentliche Meinung nach Bismarcks Rücktritt 
m Hochsommer 1889 verbrachte ich mit meiner Frau einige Wochen 
in dem belgischen Nordseebad Nieuport. Als ich dort badete und 
angelte, dachte ich nicht, daß diese friedliche Landschaft einmal der Schau- 
platz der erbittertsten Kämpfe sein und daß auf diesen fruchtbaren 
Feldern, am Ufer der Yser, das Ver sacrum unseres deutschen Volkes, 
unsere studentische Jugend, mit dem Gesang des Deutschlandliedes auf 
den Lippen in den Tod gehen sollte. 
Während unseres Aufenthaltes in Nieuport besuchte uns mein lieber 
alter Freund Franz Arenberg, der den Sommer bei seinen Eltern in 
Marche-les-Dames bei Namur verlebte. Er sprach mir die Überzeugung 
aus, daß Wilhelm II. sich über kurz oder lang von Bismarck trennen würde. 
Waldersee, der maßgebenden Einfluß auf unsern jungen Kaiser ausübe, 
wolle selbst Reichskanzler werden, um, wie der General sich ausdrücke, 
nach außen und im Innern endlich wieder eine „‚forsche“ Politik zu machen. 
Bismarck unterschätze die ihm drobende Gefahr. Da ich wußte, daß 
Herbert Bismarck in Ostende weilte, nicht weit von Nieuport, schrieb ich 
ihm und bat ihn um eine Begegnung, da ich ihm Interessantes, vielleicht 
Wichtiges mitzuteilen hätte. Er antwortete mir, wie immer, im freund- 
schaftlichsten Tone, daß er mich an und für sich gern sehen würde, aber 
im Augenblick keine Zeit habe. 
Im Herbst kam ich für vier bis fünf Tage nach Berlin. Ich hatte dort 
politisch ungünstige Eindrücke. Auf einem Diner mit jüngeren Diplomaten 
wurde ganz offen vom baldigen Rücktritt des Fürsten Bismarck gesprochen. 
Der damalige Legationsrat Graf Monts, den ich seit Jahren als Op- 
portunisten kannte, plädierte für Waldersee, da er mehr „Schneid“ habe 
als Bismarck und auch „schlauer“ sei. Einen Tag später ging ich mit
	        
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