Full text: Bernhard Fürst von Bülow - Denkwürdigkeiten. Vierter Band. Jugend- und Diplomatenjahre. (4)

Bei Geheimrat 
v. Rottenburg 
König Carol 
über Kaiser. 
und Kanzler 
628 DER PILOT DES REICHSSCHIFFS 
Bevor ich Berlin verließ, hatte ich noch eine lange Unterredung mit 
dem Geheimen Öberregierungsrat Rottenburg, dem Chef der Reichs- 
kanzlei. Ich teilte ihm meine Berliner Eindrücke mit, offen, eingehend 
und sehr ernst. Er erwiderte mir: „Auch ich halte die Situation für brenzlig. 
Von allen Seiten wird gegen den Fürsten intrigiert und gehetzt. Ich glaube 
auch nicht an die Zuverlässigkeit des Kaisers. Ich halte den Kaiser für sehr 
unreif und habe auch kein Vertrauen zu seinem Charakter. Aber der Fürst 
fühlt sich ganz sicher. Als ich vor etwa zehn Tagen von einem kurzen 
Besuch in Berlin nach Friedrichsruh zurückkehrte, wollte ich ihm nicht 
gleich am ersten Abend mit meinen schlechten Berliner Eindrücken 
kommen. Am nächsten Morgen aber legte ich los und sagte Seiner Durch- 
laucht alles, was ich auf dem Herzen hatte. Der Fürst lachte und sagte zu 
mir: „Franz, Sie haben wohl gestern zu viel von der schweren Wildsuppe 
gegessen, daher diese bösen Träume!‘ Der Fürst nennt mich, wenn er guter 
Laune ist, bei meinem Vornamen, und die Wildsuppe war in der Tat sehr 
schwer.‘ Während Bismarck seinem nächsten Mitarbeiter diese Antwort 
erteilte, hatte er aus seinem Schreibtisch ein kurz vorher von Seiner 
Majestät erhaltenes Telegramm hervorgeholt, in dem es hieß: „Bei meinem 
Morgen- und bei meinem Abendgebet gedenke ich Eurer Durchlaucht mit 
der heißen Bitte, daß der Allmächtige Sie, mein lieber Fürst, mir noch 
lange erhalten möge als meinen Lehrer und Führer und als den Piloten des 
Reichsschiffes.“ Ich fühlte, daß Rottenburg sich durch diesen etwas über- 
schwenglichen kaiserlichen Sympathiebeweis nicht blenden ließ, und kehrte 
nicht ohne schwere Sorgen nach Bukarest zurück. Meine Befürchtungen 
sollten nur zu bald bestätigt werden. 
König Carol hatte mir im zweiten Jahr meiner Tätigkeit in Bukarest 
gesagt, daß es ihn freuen würde, mich häufiger zu sprechen. Er wolle mich 
aber nicht zu oft in förmlicher Audienz empfangen, da dies unnötiges und 
überdies schädliches Aufsehen erregen würde. Wir könnten uns im Sommer, 
wo der Hof in Sinaja residiere, auf den schattigen Wegen der dortigen 
schönen Wälder und im Winter in Bukarest im Garten Cismegiu treffen 
und unauflällig unterhalten. Es war Mitte Februar 1890, daß mir der 
König in Cismegiu mit besorgter Miene sagte, die Nachrichten aus 
Berlin seien ernst. Nicht sein dortiger Gesandter, aber einer seiner Ver- 
wandten schreibe ihm, daß das Verhältnis zwischen Kaiser und Kanzler 
sich zusehends verschlechtere. Die Differenzen zwischen beiden drehten 
sich namentlich um Arbeiterfragen. Unter dem Einfluß seines Erziehers 
Hinzpeter und „einiger anderer Dilettanten‘‘ wolle der Kaiser auf diesem 
Gebiet weiter gehen, als es der Kanzler für ratsam halte. Darauf sei es 
zurückzuführen, daß Bismarck das seit einiger Zeit von ihm selbst geleitete 
Ministerium für Handel und Gewerbe an den bisherigen Oberpräsidenten
	        
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