Full text: Bernhard Fürst von Bülow - Denkwürdigkeiten. Vierter Band. Jugend- und Diplomatenjahre. (4)

STURMZEICHEN 629 
der Rheinprovinz, Herrn von Berlepsch, abgegeben habe, der sich des 
Vertrauens Seiner Majestät erfreue und in der Arbeiterschutzfrage vor- 
geschrittenen Ansichten huldige. Das Bedenkliche sei, meinte König Carol, 
daß es sich bei dem Gegensatz zwischen Kaiser und Kanzler weniger um 
technische Einzelheiten und nicht nur um die einzuschlagende Richtung 
der Sozialpolitik handle, sondern um die staatsrechtliche Stellung des 
Kanzlers, um das Verhältnis zwischen Kanzler und Krone und die Be- 
ziehungen zwischen dem Ministerpräsidenten und seinen Kollegen. Bei- 
läufig erwähnte König Carol, daß außer Berlepsch, und fast noch mehr 
als dieser, der Staatssekretär des Innern, von Bötticher, sich ın der 
Gunst des Kaisers festgesetzt habe. Als nicht lange nachher Herr 
von Bötticher den hohen Orden vom Schwarzen Adler erhielt, meinte der 
König: „Ein Sturmzeichen! Seit Bötticher lieb Kind bei Seiner Majestät 
geworden ist, traut ihm Bismarck nicht mehr. Eine so ungewöhnliche 
Auszeichnung für Bötticher ohne vorherige Anfrage bei Bismarck wird der 
letztere als eine Taktlosigkeit, und mehr als das, als eine bewußte Un- 
freundlichkeit, empfinden.‘ Die vom „Reichsanzeiger“ im Februar ver- 
öffentlichten kaiserlichen Sozialerlasse bestärkten den König von Ru- 
mänien in seinen Sorgen. „Die Erlasse werden wohl von Berlepsch oder von 
Hinzpeter oder von Bötticher oder von allen dreien zusammen redigiert 
worden sein. Sie sind von Bismarck nicht kontrasigniert worden. Die darin 
zum Ausdruck gebrachten Gedanken und Absichten sind sehr schön, aber 
bei ihrer Ausführung dürften sich erhebliche praktische Schwierigkeiten er- 
geben.‘ Der König zitierte das Wort, das zum jungen Max Piccolomini der 
alte Wallenstein spricht: „Leicht beieinander wohnen die Gedanken, doch 
hart im Raume stoßen sich die Sachen.“ 
Bald darauf, es war am 2. März 1890, erhielt ich einen Brief von Phili 
Eulenburg, in dem er mir schrieb, daß das Verhältnis Seiner Majestät 
des Kaisers zu Bismarck ein „unhaltbares‘“ geworden sei. Der Kanzler habe 
kein Verständnis für unseren neuen Herrn. Im Interesse beider Teile er- 
scheine eine Trennung wünschenswert, jedenfalls als das kleinere Übel. 
Voraussichtlich würde Herbert mit seinem Vater ausscheiden. Ich sei 
der beste Nachfolger für Herbert, und der Kaiser rechne auf mich. Philis 
Brief war kurz, sehr eilig und ziemlieh fahrig. Da der Feldjäger, der ihn mir 
brachte, wenige Stunden nach seinem Eintreffen seine Fahrt fortsetzen 
mußte, war ich genötigt, meine Antwort, nachdem ich mir einige Stich- 
worte notiert hatte, sogleich ins reine zu schreiben, ohne vorheriges Kon- 
zept, au courant de la plume. Ich besitze aber noch eine Niederschrift 
meines Briefes, die ich nicht lange nach seiner Absendung an der Hand 
meiner Notizen diktiert habe und die den Sinn meiner Darlegungen in 
allem Wesentlichen und jedenfalls ihrem Geiste nach getreu wiedergibt. In 
Brief Philipp 
Eulenburgs
	        
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