DAS KLOSTER DOBBERTIN 49
hat hinreißen lassen, galt dem freisinnigen Abgeordneten Albert Hänel,
einem der letzten Anhänger der Schleswig-Holsteinischen Landespartei,
die für das Erbrecht des Herzogs Friedrich von Augustenburg eingetreten
war.
Meine Großmutter sah es ungern, daß} mein Vater 1862 den dänischen
Dienst verließ. Mein Vater war ihr einziger Sohn, an dem sie mit großer
Liebe hing. Ihre ein Jahr nach meinem Vater geborene Tochter Charlotte,
in der Familie Lolo genannt, war, was man früher eine schöne Seele nannte.
Ich gestehe, daß mir solche schönen Seelen auch heute noch eine gewisse
Sympathie einflößen, namentlich wenn ich sie mit manchen unschönen,
boshaften und, was beinahe noch schlimmer ist, vulgären Seelen der Gegen-
wart vergleiche. Meine Tante Lolo hielt sich etwas krumm. Wenn sie bei
Tische meiner Großmutter gegenübersaß, pflegte diese von Zeit zu Zeit zu
ihr zu sagen: „Tenez-vous droite, Charlotte, ma fille!““ Tante Lolo starb in
dem mecklenburgischen adligen Damenkloster Dobbertin, das, im drei-
zehnten Jahrhundert für Zisterzienserinnen gestiftet, 1572 der mecklen-
burgischen Ritter- und Landschaft „zur christlichen Auferziehung und
Unterhaltung einländischer Jungfrauen‘““ übergeben worden war. Die
dreißig Konventualinnen trugen ein Ordenskreuz am blauen Band, die
Domina in Gold, die anderen in Silber. Das Kloster lag an einem schönen
See. Es besaß über vier Quadratmeilen Land, acht Kirchdörfer, vierzehn
Güter und an zweihundert Bauern. Talleyrand hat gesagt: „Qui n’a pas
vecu avant la Revolution, ne connait pas la douceur de vivre.“ Die Damen
des Klosters Dobbertin wußten, wie ich glaube, die Douceur de vivre zu
schätzen. Meine gute Tante Lolo hinterließ mir eine Anzahl wertvoller eng-
lischer Bücher, in denen ich noch heute gern blättere.
Meine Großmutter, Susanne Baudissin, hatte sich 1813 mit meinem
Großvater, Adolf Bülow, vermählt. Mein Urgroßvater, Bernhard Joachim
von Bülow auf Wendelstorf, Neuschlagsdorf, Retgendorf, Flessenow, Vent-
schow, Kressin und Düssin, mecklenburgisch-schwerinscher Geheimrat und
Oberhofmarschall, hatte sechs Söhne. Der alte Hans Christoph Ernst
von Gagern erzählt in seinen Denkwürdigkeiten, daß, wenn in der guten
alten Zeit ein Edelmann fühlte, sein Ende nahe heran, er seine Söhne um
sein Sterbebett versammelte und sie auf den Knauf seines Degens schwören
ließ, sie würden sich in fremder Herren Ländern ‚„Fortune‘, ihrem Hause
aber „Gloire‘“ erwerben. Ob mein Urgroßvater es auch so gemacht hat,
weiß ich nicht, jedenfalls dienten seine Söhne in verschiedenen Ländern.
Der älteste, Bernhard, und der jüngste, Karl, in Mecklenburg, wo der erste
wie sein Vater Oberhofmarschall wurde, der letztgenannte Kanzleidirektor
und einer der streitbarsten und urwüchsigsten aller mecklenburgischen
Feudalen. Friedrich wurde Hofoberstforstmeister in Württemberg unter
4 Bülow IV
Tante
Lolo