Full text: Bernhard Fürst von Bülow - Denkwürdigkeiten. Vierter Band. Jugend- und Diplomatenjahre. (4)

Baron Blanc 
654 ROMANISCHE STAATSRÄSON 
Ruhe und Ordnung mit Strenge wiederhergestellt. Der Abgeordnete 
De Felice, der intellektuelle Urheber des sizilianischen Aufstandes, wurde 
verhaftet und deportiert. Als sich seine Frau dem Ministerpräsidenten Crispi 
zu Füßen warf und um die Freilassung ihres Gatten flehte, wandte er ihr den 
Rücken mit den Worten, daß er keine andere Richtschnur kenne als die 
Staatsräson, und die verlange vom Ministerpräsidenten Festigkeit. Der 
Rechtsanwalt Molinarıi, der den Aufstand der Arbeiter in den Marmor- 
steinbrüchen von Massa-Carrara organisiert hatte, wurde zu dreiund- 
zwanzigjährigem Kerker verurteilt. Die Staatsmänner romanischer Länder 
unterscheiden sich von den mehr doktrinär angelegten, von des Gedankens 
Blässe angekränkelten deutschen Politikern dadurch, daß sie im Notfalle 
weder vor Inkonsequenzen noch vor Härte zurückschrecken. Der alte 
Revolutionär Crispi warf im Winter 1893/94 die aufständische Bewegung 
in Italien auf der ganzen Linie ebenso entschlossen zu Boden, wie dreiund- 
zwanzig Jahre früher in Frankreich ein Liberaler par excellence, Thiers, 
einer der Urheber der Juli-Revolution von 1830, die Pariser Kommune in 
Strömen von Blut ertränkt hatte und wie während des Weltkrieges 
Clemenceau, Viviani, Briand, Painleve und andere Radikale und So- 
zialisten in Frankreich den Defaitismus bekämpften, der in Deutschland 
von Bethmann, Michaelis, Hertling und dem Prinzen Max von Baden mit 
Glacehandschuhen angefaßt wurde. 
Ich bin mit Crispi gut ausgekommen. Er hatte ein starkes Selbst- 
bewußtsein. Im persönlichen Verkehr war er natürlich, liebenswürdig und 
behaglich, was bei dem energischen Mann mit den scharf geschnittenen 
Zügen, den blitzenden Augen und dem buschigen, schneeweißen Schnurr- 
bart sympathisch wirkte. Crispi war durch und durch Autorität. Er war 
Realpolitiker. Die Verstiegenheiten, Schrullen und Illusionen, in die man 
bei uns nur zu leicht verfällt, lagen ihm fern. Seine Bewunderung für den 
Fürsten Bismarck war unbegrenzt. Crispis Andenken wird in Italien noch 
heute mit Pietät gepflegt. Im derzeitigen Ministerium des Äußern in Rom, 
in dem alten Palazzo Chigi, wurde ihm zu Ehren nach dem Weltkrieg eine 
Marmortafel angebracht, die seinen Patriotismus und seine Entschlossen- 
heit rühmt. Eine derrömischen Hauptstraßen, auf die man aus den Fenstern 
der Villa Malta blickt, trägt seinen Namen. 
Der Minister des Äußern, Baron Blanc, war wie Menabrea, Pelloux, 
Barral, Launay und manche anderen Männer des modernen Italien 
Savoyarde von Geburt. Als er zum Baron erhoben wurde, wählte er sich 
den hübschen Wappenspruch: „Savoye indique la voie.““ In Berlin fand 
man Blanc zu geschäftig und zu unruhig, und Holstein, der selbst noch viel 
unruhiger war, klagte über die Aufgeregtheit von Blanc. Gewiß war Alberto 
Blanc eine leidenschaftliche Natur, aber seine Leidenschaft galt nicht
	        
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