GONDELFAHRT MIT WILHELM II. 659
Karten abzugeben. Holstein war während des ganzen Tages nicht aus
seinem Zimmer, unmittelbar neben dem Büro des Staatssekretärs, heraus-
gekommen, wo er, finster brütend, auf und ab lief, nach seiner Gewohnheit,
wenn er erregt war, die Finger weit spreizend und dann wieder zu geballter
Faust zusammenziehend. Als ich in Rom meine Rede auf den Kaiser mit
den Worten begann, wir könnten in diesem Jahre den Geburtstag Seiner
Majestät mit besonderer Freude feiern, nachdem unser Kaiser dem großen
Diener seines Großvaters, dem größten Deutschen, die Hand zur Versöhnung
gereicht habe, unterbrach mich ein solcher Jubel, daß ich eine Pause machen
mußte. Diese Stunde legte den Grund zu den herzlichen und innigen Be-
ziehungen, die, wie schon in Bukarest so auch in Rom, mich mit meinen
deutschen Landsleuten verbanden.
Ende März 1894 ließ Seine Majestät der Kaiser mir telegraphieren, daß
es ihn ungemein freuen würde, den König Humbert wiederzusehen. Als
Ort der Begegnung schlug der Kaiser das von ihm besonders geliebte
Venedig vor, wohin er sich von Abbazia aus begeben wollte, wo er vorher
einige Zeit Aufenthalt nehmen würde. Es war die für Wilhelm II. so glück-
liche Zeit, wo er noch ganz seiner Passion für Reisen leben konnte. Den
„Reise-Kaiser““ hatte ihn, im Gegensatz zu seinem kranken Vater, dem
„leisen Kaiser“, und seinem Großvater, dem „weisen Kaiser“, der Berliner
Humor getauft. Ich konnte umgehend das Einverständnis des Königs von
Italien melden. Die Souveräne verbrachten drei Tage, den 7., 8. und
9. April, in Venedig. Der Kaiser traf in der Lagunenstadt auf einer eng-
lischen Segel-Jacht ein. Daß er so gern auf englischen Schiffen fuhr,
ärgerte die deutschen Seeleute. Er rechtfertigte es damit, daß er als eng-
lischer Real Admiral of the Fleet das Recht und sogar die Pflicht habe, auf
englischen Schiffen die Meere zu durchqueren. In der Begleitung Seiner
Majestät befanden sich nur die drei diensttuenden Adjutanten und Philipp
Eulenburg, der kurz vorher das Ziel seiner damaligen Wünsche, den Wiener
Botschafter-Posten, erreicht hatte, wo Prinz Reuß ihm weichen mußte.
Die Begegnung von Venedig verlief gut. Wilhelm II. gab sich natürlich und
einfach, und wenn er das tat, war er bezaubernd. Am Abend seiner Ankunft
wurden ihm auf dem Markusplatz von einer großen Volksmenge en-
thusiastische Huldigungen dargebracht. Am nächsten Tage schlug mir der
Kaiser, nachdem er eine Stunde im Gespräch mit König Humbert ver-
bracht hatte, eine Gondelfahrt zu zweien nach dem stimmungsvollen
Friedhof San Michele vor. Es entspann sich zwischen uns der nachstehende
Dialog, über den ich mir, da es meine erste dienstliche Unterredung mit
Wilhelm II. war, alsbald eine Notiz machte.
Der Kaiser: „Ich bin berauscht von dem mir bereiteten großartigen
Empfang. Ich habe nie einen ähnlichen Empfang gefunden, einen solchen
42°
Der Kaiser
in Venedig
Unterredung
mit Bülow