Full text: Bernhard Fürst von Bülow - Denkwürdigkeiten. Vierter Band. Jugend- und Diplomatenjahre. (4)

DIE KATASTROPHE IN AFRIKA 673 
auf seine militärischen Fähigkeiten als auf seine politische Einstellung an- 
kommt. Unglücklicherweise erfuhr Baratieri durch eine Indiskretion von 
der ihm bevorstehenden Abberufung. Er wollte vorher noch einen Sieg er- 
fechten und griff am 1. März 1896 bei Adua mit kaum fünfzehntausend 
Mann das weit überlegene Heer des Negus Menelik an. Persönlich zeigte er 
sich brav, hielt in erster Linie im Feuer und zog sich unter den letzten 
zurück. Aber sein Heer wurde vollständig geschlagen. Zwei Generäle, 
Dabormida und Arimondi, fanden tapfer kämpfend den Heldentod. An 
Toten und Verwundeten verlor das italienische Heer viertausend Mann. 
Unter den Toten befand sich auch der junge Fürst Agostino Chigi, der einer 
streng päpstlich gerichteten Familie angehörte, aus der Papst Alexander VII. 
hervorgegangen war und die seit zweihundert Jahren die Würde eines 
Marschalls der Heiligen Kirche und Hüters des Konklave bekleidet. Er 
hatte sich freiwillig für die Expedition gegen Menelik gemeldet, um zu 
zeigen, daß sich die sogenannten Schwarzen, die päpstlich Gesinnten, an 
italienischem Patriotismus nicht von den Weißen, den königlich Ge- 
sinnten, übertreffen ließen. 
Am 2. März 1896 erhielt der Minister des Äußern, der Baron Blanc, in 
früher Stunde ein Telegramm, das mit den Worten begann: „Immane 
disastro !“ (Ungeheure Katastrophe!) Crispis Afrika-Politik war, seit Hiobs- 
botschaften aus Afrika eintrafen, mit zunehmender Schärfe kritisiert 
worden. Nun brach der Sturm los, und es erging dem Ministerpräsidenten, 
wie es meist Staatsmännern geht, die Mißerfolge haben. Parlament und 
Presse wälzten alle Schuld auf ihn oder rückten wenigstens von ihm ab. 
Crispi reichte seine Entlassung ein. Ich wohnte in der Diplomatenloge der 
Sitzung bei, in der Crispi der Kammer mitteilte, daß er seine Demission 
eingereicht und daß der König sie angenommen habe. Hoch aufgerichtet 
stand der siebenundsiebzigjährige Premierminister vor dem Parlament. 
Keine Miene zuckte in seinem scharfgeschnittenen, männlichen Gesicht. 
Als bei der Verkündung der Demission in der Hofloge von einer dem 
Ministerpräsidenten nicht wohlgesinnten Palastdame „Bravo“ gerufen 
wurde, warf er seiner Gegnerin einen Blick zu, der bewies, daß dieser alte 
Fechter sich über Lob und Tadel des Tages ebenso erhaben fühlte wie über 
alle Launen der Mobilium turba Quiritium. 
Wenige Tage später wurde ein neues Kabinett unter dem Marquis 
Rudini gebildet. Auch Rudini war Sizilianer, aber während Crispi ein 
Sohn des Volkes war, gehörte der Marchese Rudini einer der ältesten 
Familien des Landes an. Auch Rudini war ein energischer Mann. Aber wenn 
Crispi seine überströmende Energie durch Reden und Gesten nach außen 
in jeder Weise zum Ausdruck brachte, bewies Rudini seine Festigkeit und 
Enntschlossenheit mehr durch Zähigkeit und Geduld. Er hat das Abessinische 
43 Bülow IV 
Die Schlacht 
bei Adua 
Das Kabinett 
Rudini
	        
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