Full text: Bernhard Fürst von Bülow - Denkwürdigkeiten. Vierter Band. Jugend- und Diplomatenjahre. (4)

DIPLOMATEN DER KURIE 679 
die besten Beziehungen zur italienischen Regierung zu unterhalten und 
sich in Neapel allgemeiner Beliebtheit zu erfreuen. 
Wenn England wohl das Land ist, das in den letzten Jahrhunderten am 
verständigsten und erfolgreichsten regiert worden ist, so wird die Diplo- 
matie der römischen Kurie, wie ich glaube, an Takt, an Ruhe und Geduld, 
an Scharfsinn, an Menschenkenntnis und an Kunst der Menschenbehand- 
lung von keiner anderen übertroffen. Das gilt von den Monsignori, von den 
Domherren und Prälaten, von den Nunzien, von den Kardinälen. Meine 
Beziehungen zu dem liebenswürdigen und geistvollen Nunzius Czacki in 
Paris habe ich schon erwähnt. Ich möchte aber auch des Kardinals Ram- 
polla gedenken, zu dem ich schon während meiner Amtszeit in einem 
freundlichen Verhältnis stand und den ich während der ersten Jahre meines 
Aufenthaltes in der Villa Malta viel sah. Er verband eine feurige Seele mit 
einem kühlen Kopf und einer ruhigen Hand. Unerschütterlich in allen 
Prinzipienfragen des päpstlichen Stuhls und der römischen Kirche, war er 
kulant in Formen, Umgang und Verkehr. Seine Bewunderung für Bismarck 
war ebenso groß wie die seines sizilianischen Landsmannes Crispi. In seinem 
Arbeitszimmer hingen nur zwei Bilder: die schöne Reproduktion der Ma- 
donna von Murillo, deren Original im Palazzo Corsini hängt, und ein Bild, 
das den Fürsten Bismarck darstellt, wie er seinem kaiserlichen Herrn, 
Wilhelm I., Vortrag hält. Der prächtige Typus eines würdigen Kardinals 
ist der langjährige Dekan des Sacro Collegio, Vincenzo Vanutelli. Fast 
neunzig Jahre alt, ist er so rüstig wie ein gut erhaltener Sechziger, immer 
ein gütiges Lächeln auf den Lippen, geistig klar und voll Interesse. Ein 
patriotischer Italiener. Er rühmt sich, Pius XI. nach seiner Wahl durch 
energischei Zuspruch dazu bewogen zu haben, im Gegensatz zu seinen drei 
Vorgängern das auf dem Petersplatz versammelte Volk wieder von der 
Loggia der Peterskirche aus zu segnen. „L’ho spinto io!“ (Ich habe ihn 
vorgestoßen!) meinte er, als er mir diese historische Szene nicht ohne Stolz 
erzählte. Vincenzo Vanutelli hat fünf Päpste auf dem Thron gesehen, 
zweimal im Anno Santo, 1900 und 1925, als Erzpriester von Santa Maria 
Maggiore das Heilige Tor geschlossen. Ein gütiger Freund ist mir und 
meiner Frau der Kardinal Ragonesi, ein Kirchenfürst, der in seltenem Maße 
hervorragende politische Begabung und Erfahrung mit jener Eigenschaft 
verbindet, die der Franzose mit dem schönen Ausdruck „La politesse du 
coeur“ bezeichnet. Von deutschen Kardinälen wüßte ich nur den Kardinal 
Kopp, der an geistiger Feinheit und Grazie des Auftretens mit italienischen 
Prälaten zu vergleichen wäre. 
Wenn auch mein dienstliches Interesse und meine stete Beobachtung 
der innern und auswärtigen Politik Italiens gewidmet waren, so konnten 
die Vorgänge, die sich in der Heimat abspielten und in deren Mittelpunkt 
Rampolla 
Vanutelli
	        
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