DIPLOMATEN DER KURIE 679
die besten Beziehungen zur italienischen Regierung zu unterhalten und
sich in Neapel allgemeiner Beliebtheit zu erfreuen.
Wenn England wohl das Land ist, das in den letzten Jahrhunderten am
verständigsten und erfolgreichsten regiert worden ist, so wird die Diplo-
matie der römischen Kurie, wie ich glaube, an Takt, an Ruhe und Geduld,
an Scharfsinn, an Menschenkenntnis und an Kunst der Menschenbehand-
lung von keiner anderen übertroffen. Das gilt von den Monsignori, von den
Domherren und Prälaten, von den Nunzien, von den Kardinälen. Meine
Beziehungen zu dem liebenswürdigen und geistvollen Nunzius Czacki in
Paris habe ich schon erwähnt. Ich möchte aber auch des Kardinals Ram-
polla gedenken, zu dem ich schon während meiner Amtszeit in einem
freundlichen Verhältnis stand und den ich während der ersten Jahre meines
Aufenthaltes in der Villa Malta viel sah. Er verband eine feurige Seele mit
einem kühlen Kopf und einer ruhigen Hand. Unerschütterlich in allen
Prinzipienfragen des päpstlichen Stuhls und der römischen Kirche, war er
kulant in Formen, Umgang und Verkehr. Seine Bewunderung für Bismarck
war ebenso groß wie die seines sizilianischen Landsmannes Crispi. In seinem
Arbeitszimmer hingen nur zwei Bilder: die schöne Reproduktion der Ma-
donna von Murillo, deren Original im Palazzo Corsini hängt, und ein Bild,
das den Fürsten Bismarck darstellt, wie er seinem kaiserlichen Herrn,
Wilhelm I., Vortrag hält. Der prächtige Typus eines würdigen Kardinals
ist der langjährige Dekan des Sacro Collegio, Vincenzo Vanutelli. Fast
neunzig Jahre alt, ist er so rüstig wie ein gut erhaltener Sechziger, immer
ein gütiges Lächeln auf den Lippen, geistig klar und voll Interesse. Ein
patriotischer Italiener. Er rühmt sich, Pius XI. nach seiner Wahl durch
energischei Zuspruch dazu bewogen zu haben, im Gegensatz zu seinen drei
Vorgängern das auf dem Petersplatz versammelte Volk wieder von der
Loggia der Peterskirche aus zu segnen. „L’ho spinto io!“ (Ich habe ihn
vorgestoßen!) meinte er, als er mir diese historische Szene nicht ohne Stolz
erzählte. Vincenzo Vanutelli hat fünf Päpste auf dem Thron gesehen,
zweimal im Anno Santo, 1900 und 1925, als Erzpriester von Santa Maria
Maggiore das Heilige Tor geschlossen. Ein gütiger Freund ist mir und
meiner Frau der Kardinal Ragonesi, ein Kirchenfürst, der in seltenem Maße
hervorragende politische Begabung und Erfahrung mit jener Eigenschaft
verbindet, die der Franzose mit dem schönen Ausdruck „La politesse du
coeur“ bezeichnet. Von deutschen Kardinälen wüßte ich nur den Kardinal
Kopp, der an geistiger Feinheit und Grazie des Auftretens mit italienischen
Prälaten zu vergleichen wäre.
Wenn auch mein dienstliches Interesse und meine stete Beobachtung
der innern und auswärtigen Politik Italiens gewidmet waren, so konnten
die Vorgänge, die sich in der Heimat abspielten und in deren Mittelpunkt
Rampolla
Vanutelli