Full text: Bernhard Fürst von Bülow - Denkwürdigkeiten. Vierter Band. Jugend- und Diplomatenjahre. (4)

TRENNUNG VON DÄNEMARK 53 
zu gelangen als zwischen erhitzten, leidenschaftlichen und oft blinden 
Völkern. An der Überspannung des Nationalitäten-Prinzips ist die öster- 
reichische Monarchie zugrunde gegangen, und das Deutschtum hat dabei 
weite und wertvolle Gebiete in Böhmen, in Krain, in Ungarn und Kroatien, 
in Galizien und in der Bukowina verloren. Die Schwäche des deutschen 
Nationalgefühls führte dazu, daß der Deutsche im Nationalitätenkampf 
wie mit den Romanen und den Magyaren so auch mit den Polen und den 
Tschechen meist unterlag. 
In Dänemark standen sich seit 1848 zwei Richtungen gegenüber: Die 
Gesamtstaatspartei wollte die Erhaltung der dänischen Monarchie in ihrem 
ganzen Bestand, sie wollte Holstein der dänischen Krone erhalten und zu 
diesem Zweck in Schleswig deutsche Gefühle und Rechte schonen. Der 
größte Teil des dänischen Adels, der vielfach deutschen Ursprungs ist, die 
meisten Beamten, Industrie und Handel gehörten dieser Richtung an. Die 
sogenannten Eiderdänen legten auf Holstein kein Gewicht, sie wollten es 
ebenso wie Lauenburg am liebsten abstoßen, dagegen Schleswig bis zur 
Eider danisieren. An ihrer Spitze stand der leidenschaftliche Orla Lehmann, 
ein deutscher Renegat, Vetter des Begründers der Deutschen Nationalen 
Partei in Holstein, Theodor Lehmann. Auch in Rußland und in Polen, in 
Ungarn und in Böhmen befanden und befinden sich unter den Bekämpfern 
des Deutschtums nur zu oft abtrünnige Deutsche. 
Im Herbst 1862 entschloß sich mein Vater, seinen Abschied als dänischer 
Gesandter einzureichen, da er mehr und mehr die Überzeugung gewann, 
daß er bei dem wachsenden Einfluß der eiderdänischen Richtung seine 
Pflicht als dänischer Gesandter nicht mehr mit seiner deutschen Natio- 
nalität und Gesinnung vereinigen könne. Nachdem er König Friedrich VII. 
persönlich sein Entlassungsgesuch überreicht hatte, sagte er, nach Flottbek 
zurückgekehrt, meinem Bruder Adolf und mir nach der Morgenandacht: 
„Ich habe meinen Abschied aus dänischen Diensten genommen, damit seid 
ihr ganz und endgültig Deutsche geworden. Was das für euch und 
eure Zukunft bedeutet, wißt ihr jetzt noch nicht, ihr werdet es aber später 
'begreifen.‘“ Ich kann nicht sagen, daß mein Bruder und ich durch diese 
Mitteilung sehr ergriffen wurden. Wir hatten uns immer nur als Deutsche 
betrachtet, sprachen kein Wort Dänisch und waren nie in Kopenhagen ge- 
wesen, dasich erst zehn Jahre später zum erstenmal sah. Von der dänischen 
Geschichte wußten wir nur, daß Gorm der Alte die Reihe der dänischen 
Könige eröffnet, daß Knuth der Große England erobert hatte, daß der 
Danebrog vom Himmel fiel und daß seit langer Zeit alle dänischen Könige 
abwechselnd Friedrich und Christian hießen. 
Über den Verlauf seiner Audienz bei König Friedrich VII. hat mein 
Vater uns später berichtet. Der König empfing ihn in Flensburg. Mein Vater 
Abschied des 
Vaters aus 
dänischen 
Diensten
	        
Waiting...

Note to user

Dear user,

In response to current developments in the web technology used by the Goobi viewer, the software no longer supports your browser.

Please use one of the following browsers to display this page correctly.

Thank you.