MARSCHALL SOLL FORT 683
liegend, unter dem Kopf zwei Kissen, die ihm seine liebevolle Mutter, von
einer zum Besuch bei ihr weilenden Schwester unterstützt, untergelegt
hatte, die Beine eingewickelt in dicke Decken, setzte er mir auseinander,
daß er völlig unter dem Eindruck eines vor einigen Tagen erhaltenen
kaiserlichen Briefes stehe. Der Kaiser hatte ihm, in aufgeregtem Ton, in
zerhackten Sätzen, mit zahllosen Ausrufungszeichen, geschrieben, daß er
es mit dem Staatssekretär Marschall nicht länger aushalte. Marschall
habe ihn „verraten“. Er stecke mit den Schwarzen und mit den Roten
unter einer Decke. Marschall müsse fort, sobald als möglich, wenn er, der
Kaiser, nicht moralisch und gesundheitlich zugrunde gehen solle. Daß
Marschall nicht länger bleiben dürfe, sei auch die Überzeugung des Reichs-
kanzlers Hohenlohe. ‚‚Der richtige Nachfolger für Marschall ist Bernhard
Bülow, von dem mein Onkel Chlodwig Hohenlohe mir wiederholt gesagt
hat, der wäre der beste Kopf in unserer Diplomatie.“ Fürst Chlodwig Hohen-
lohe war nach dem gleichzeitigen Ausscheiden des Reichskanzlers Caprivi
und des preußischen Ministerpräsidenten Botho Eulenburg am 26. Oktober
1894 deutscher Reichskanzler und preußischer Ministerpräsident ge-
worden.
Philipp Eulenburg setzte mir in Meran während drei Tagen mit seinen
vielseitigen Überredungskünsten und seinem auskunftsreichen Geist aus-
einander, daß es meine Pflicht gegenüber dem Kaiser und dem Lande sei,
die Nachfolge Marschalls nicht auszuschlagen. Ich antwortete ihm, daß
ich an und für sich lieber in Rom bliebe. Von den Wünschen meiner Frau
wolle ich gar nicht reden, der es schwerfallen würde, sich von ihrer Mutter
zu trennen. Selbstverständlich kämen solche persönlichen Erwägungen
gegenüber dem Interesse des Dienstes nicht in Frage. Aber auch dienstlich
könnte ich mich, wie ich glaube, in Rom nützlicher machen als in Berlin.
Die politischen Schwierigkeiten des mir zugedachten Postens erschreckten
mich nicht, obwohl ich parlamentarisch ein völliger Neuling sei und,
abgesehen von einem Plädoyer als Metzer Referendar vor dreiundzwanzig
Jahren und gelegentlichen Toasten bei Kaisers Geburtstag, nie öffentlich
gesprochen hätte. „Aber werde ich auf die Länge mit dem Kaiser aus-
kommen? Nur eines: Der Kaiser steht a couteaux tires mit dem Fürsten
Bismarck, mich aber wird nichts abhalten, auch öffentlich meiner Ver-
ehrung und Bewunderung für Bismarck Ausdruck zu geben. Ich würde,
wenn ich Minister werden sollte, so bald wie möglich dem Fürsten Bismarck
meine Aufwartung machen. Ich würde auch mit Herbert weiter in der bis-
herigen freundschaftlichen und herzlichen Weise verkehren.“ Phili, der
seit der Krisis von 1890 mit Herbert ganz überworfen und auch bei dessen
großem Vater sehr schlecht angeschrieben war, schnitt ein Gesicht. Er
bemühte sich, mir zu beweisen, daß, wenn ich Minister würde, es meine
Die Nachfolge
Marschalls