BÜLOW ZÖGERT, NACH BERLIN ZU GEHEN 685
Holstein, mit dem vorläufigen Bleiben des bisherigen Staatssekretärs
schließlich abgefunden haben. Aber die ebenso plötzliche wie heftige
Aversion des Kaisers schloß diesen Ausweg für Phili aus, der gerade in
Personalfragen Seiner Majestät nur ungern entgegentrat. Alle, die außer
mir etwa noch in Frage kommen konnten, also Alvensleben, Rotenhan,
Richthofen, Monts, Kiderlen, Derenthall, waren Phili unbekannt oder un-
sympathisch. Vor einer Rückkehr von Herbert Bismarck fürchtete er sich
wie der Teufel vor dem Weihwasser. Selbst den Posten des Staatssekretärs
zu übernehmen, fühlte er sich ganz außerstande, da er weder die Arbeits-
kraft und die Kenntnisse hatte, dieses Ressort zu leiten, noch die Nerven, um
vor den Reichstag zu treten.
Als ich mich in Meran von Phili trennte, war noch alles unentschieden.
Er hielt an der Hoffnung fest, mich umzustimmen. Ich blieb bei meinem
Widerstand. Während der nächsten Wochen folgte eine ziemlich unerfreu-
liche Korrespondenz zwischen Eulenburg, Holstein und mir. Ich war in
keiner Weise das Ideal von Holstein. Er hätte am liebsten Marschall be-
halten, der, als Neuling in der auswärtigen Politik, ohne Kenntnis des Aus-
landes, ohne diplomatische Erfahrung und damals noch ohne diplomatische
Formen, leicht zu lenken war. Aber Holstein wußte, daß Wilhelm II.
Marschall durchaus los sein wollte und daß bei dem Eigensinn Seiner
Majestät in Personalfragen dieser Widerstand kaum zu überwinden war.
Kiderlen lehnte Holstein ab, obwohl dieser, seitdem sie gemeinsam Bis-
marck verraten hatten, vor der Welt als der treueste Knappe von Holstein
galt. Monts lehnte Holstein erst recht ab, da er ebenso plump und taktlos
sei wie Kiderlen und dabei, im Gegensatz zu diesem, kein politischer
Kopf. Kiderlen hatte übrigens selbst keine Lust, Staatssekretär zu werden.
Er wußte, daß er dem Kaiser unsympathisch geworden war, und erwiderte
diese Gefühle Seiner Majestät mit ebenso gründlicher Abneigung. Mit
schwäbischem Humor ließ er mich wissen, daß das Zusammensein mit un-
serm allergnädigsten Herrn, bei dem er nun schon seit mehreren Jahren
als Vertreter des Auswärtigen Amtes während der Reisen Seiner Majestät
fungierte, ihm zum Halse heraushänge. Er würde viel lieber einen Posten
im Auslande übernehmen. Anders Monts, damals Gesandter in München.
Der richtete einen in sehr devotem, fast kriechendem Tone gehaltenen
Brief an mich, in dem er mir auseinandersetzte, daß ich ‚‚natürlich‘“ der
weitaus beste Nachfolger des ‚‚endlich‘‘ an seiner Unfähigkeit gescheiterten
Marschall sein würde. Wenn ich aber, was er durchaus begriffe, lieber in
Rom bliebe, und sofern ich ihm mein Vertrauen zuwendete und meinen Rat
nicht vorenthielte, würde er, gehoben durch solches Vertrauen und er-
leuchtet durch meine Ratschläge, mutig den Posten des Staatssekretärs
übernehmen.
Korrespon-
denz zwischen
Eulenburg,
Holstein und
Bülow