ENTSCHEIDUNG 689
sagte mir Hollmännchen, während wir, mit dem Blick auf das Forum
Romanum, auf der Terrasse des Palazzo Caffarelli auf und ab gingen.
„Hier in Rom haben Sie es so gut. In Berlin würden Sie einem Fiasko ent-
gegengehen. Keiner wird dem Kaiser seine Flottenwünsche durchsetzen,
auch Sie nicht, Herr Botschafter, an den ja unser allergnädigster Herr als
Nachfolger für den ganz verbrauchten Marschall denken soll. Fallen Sie
darauf nicht herein. Ich rate Ihnen gut.“ Tirpitz sprach optimistischer.
Unter den Gebildeten in Deutschland, in den Kreisen der Industrie und
des Handels, auch unter den Gelehrten, bei allen Intellektuellen herrsche
Verständnis für die Notwendigkeit deutscher Seegeltung. Er frug mich
aber, ob ich im Reichstag würde reden können. Das wäre sehr wünschens-
wert, denn der Kanzler Hohenlohe sei kein Redner, und er selbst könne
sich schon wegen seiner schwachen Stimmittel und einer gewissen Be-
fangenheit nicht als einen solchen bezeichnen. Ich antwortete, ich hätte es
noch nicht versucht. Im übrigen liege nach meiner Ansicht die Haupt-
schwierigkeit der Flottenfrage gar nicht im Reichstag. Ich sähe sie weit
mehr in der Eifersucht und Beunruhigung, die eine stärkere, eine tüchtige,
große deutsche Flotte in England hervorrufen würde, das ohnehin auf
unsere schnellen, vielleicht allzu schnellen Fortschritte in Handel, In-
dustrie und Schiffahrt täglich eifersüchtiger werde.
Inzwischen wurde die Stellung des Staatssekretärs Marschall immer
unhaltbarer. Die Konservative Partei, auf deren Bänken er einst als
Abgeordneter gesessen hatte, verfolgte ihn als „Abtrünnigen“ mit ihrer
besonderen Abneigung. Der grollende Titan in Friedrichsruh ließ ihn in den
ihm nahestehenden Blättern fortgesetzt angreifen und noch mehr ridiküli-
sieren als sachlich bekämpfen. Aus dem unerquicklichen Prozeß Tausch
war Marschall kompromittiert hervorgegangen. Seine Wendung von der
„Flucht in die Öffentlichkeit“, zu der er durch die gegen ihn gerichteten
Angriffe gezwungen worden sei, kam zwar als geflügeltes Wort in den
Büchmann, aber nicht ohne einen Beigeschmack von Lächerlichkeit.
Seit der Verabschiedung des Fürsten Bismarck, seit sieben Jahren,
hatte in Berlin nicht ein solcher Wirrwarr geherrscht. Endlich nahm die
Ungewißheit ein Ende.
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