Full text: Bernhard Fürst von Bülow - Denkwürdigkeiten. Vierter Band. Jugend- und Diplomatenjahre. (4)

DER RUF NACH STRELITZ 55 
sprach. Er fragte meinen Vater, warum er weggehen wolle. Er bitte ihn, zu 
bleiben, denn er sei ein guter Kopf. Auch die dänischen Minister wünschten, 
daß er bliebe, obwohl sie wüßten, daß er ein Gegner der eiderdänischen 
Richtung sei, der die meisten von ihnen angehörten. Mein Vater ent- 
gegnete, daß er aus zwei Gründen nicht bleiben könne. Einmal könne er als 
Deutscher die Danisierungs-Politik der Eiderdänen in Schleswig nicht 
länger mitmachen. Dann aber sei er überzeugt, daß diese Politik der 
Kopenhagener Demokraten zum Kriege mit den deutschen Großmächten 
führen werde, der die Zertrümmerung der alten und ehrwürdigen dänischen 
Gesamtmonarchie bedeute. „Seien Sie unbesorgt‘“, entgegnete Fried- 
rich V1I., „blicken Sie auf diesen Tisch. Die drei kleinen Bleistifte bedeuten 
die Österreicher, die Preußen und die anderen deutschen Bundesstaaten, 
die gegen mich anrücken. Die zwei großen Bleistifte bedeuten das Dane- 
virke und die Düppler Schanzen, wo ich sie erwarten und schlagen werde.“ 
Der König blieb hartnäckig bei dieser seiner Auffassung. Trotz seiner 
Sonderbarkeiten und Schwächen war Friedrich VII. im eigentlichen Däne- 
mark sehr populär. Er war seit der Thronbesteigung des oldenburgischen 
Hauses der erste national-dänische König. Mit Rücksicht darauf wurden 
ihm sowohl seine häuslichen Verhältnisse wie seine Trunksucht verziehen. 
Einige Monate nachdem mein Vater seinen Abschied aus dänischen 
Diensten in allen Ehren, mit dem Großkreuz des Danebrogordens und der 
dänischen Exzellenz, erhalten hatte, ließ der Großherzog von Mecklen- 
burg-Strelitz bei ihm anfragen, ob er geneigt wäre, die durch den Tod 
des Ministers von Bernstorff in Neustrelitz vakant gewordene Stellung des 
Strelitzer leitenden Ministers zu übernehmen. Der Großherzog hatte durch 
hessische und dänische Verwandte von meinem Vater gehört, war diesem 
auch einmal in Rumpenheim persönlich begegnet. Mein Vater besprach den 
Antrag eingehend mit meiner Mutter und vor uns Kindern, während wir 
nach Tisch um die Lampe saßen. Er hob die Nachteile und die Vorteile des 
neuen Postens hervor. Ein kleines Nest wie Neustrelitz, das kaum sieben- 
tausend Einwohner zähle, würde nach dem bewegten und interessanten 
Leben in Frankfurt nicht gerade anregend sein. Er habe nach seiner Schul- 
und Universitätszeit nur in großen Zentren gelebt: Kopenhagen, Paris, 
London, Hamburg, Frankfurt. Aber auch ein stilles Leben habe seine Vor- 
züge. Langweile sei gut für die Nerven. Er wolle sich nicht auf Cäsar be- 
rufen, der lieber der Erste in einem Dorf als der Zweite in Rom sein wollte, 
aber er meine, daß auch der kleinste Kreis, wenn man ihn wohl zu pflegen 
wisse, kostbare Früchte gewähren könne. Daß in Strelitz ein gutes Gym- 
nasıium für die Söhne wäre, käme auch in Betracht, und endlich sei Meck- 
lenburg die Wiege seiner Familie. So wurde der Ruf nach Strelitz ange- 
nommen. 
Übertritt 
nach 
Mecklenburg
	        
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