Full text: Bernhard Fürst von Bülow - Denkwürdigkeiten. Vierter Band. Jugend- und Diplomatenjahre. (4)

60 FAHRTEN ÜBER LAND 
Hirtenroman des Longos, der das Entzücken von Goethe und von Stendhal 
erregt hat. In dieser idyllischen Schloßkoppel hat sich ein halbes Jahr- 
hundert später der letzte Großherzog von Mecklenburg-Strelitz erschossen, 
aus unglücklicher Liebe zu einer italienischen Sängerin, einem dämonischen 
Weibe, das ihn weder erhören noch loslassen wollte. Mein gutes kleines 
Hannchen war, Gott sei Dank, keine „femme fatale‘, wie die Franzosen 
das nennen. Ich bewahre ihr ein freundliches Andenken. 
In guter Jahreszeit fuhren meine Eltern zu Verwandtenbesuchen über 
Land, und wenn es die Schule erlaubte, durften mein Bruder Adolf und ich 
sie begleiten. Wir fuhren mit zwei schlanken Braunen, die wir Kleobis und 
Biton genannt hatten, zu Ehren der beiden herrlichen Jünglinge aus Argos, 
die der weise Solon dem unweisen König Krösos als wirklich glückliche 
Menschen gerühmt hatte, wie uns das Herodot im Ersten Buch seiner 
Geschichte berichtet. Mein Urgroßvater, der mecklenburg-schwerinsche 
Oberhofmarschall Bernhard Joachim von Bülow, war zweimal verheiratet: 
in erster Ehe mit Elisabeth von der Lühe, aus dem Hause Barnekow, in 
zweiter Ehe mit Charlotte von ÖOertzen, aus dem Hause Gorow, Die 
Oertzen und die Lühe gehören wie die Bülow zu den Familien, die damals 
die eingeborenen Familien genannt wurden. Sie gehören, wie meine 
Familie, dem mecklenburgischen Uradel an. Von den Schwestern meines 
Großvaters hatte die eine sich mit einem Herrn von Engel auf Breesen, die 
andere mit einem Freiherrn von Meerheimb auf Wokrent vermählt. Diese 
beiden Familien waren durch den Degen hochgekommen. Oberst Hans 
Joachim Engel war von dem Schwedenkönig Karl XI. geadelt und darauf- 
hin in den mecklenburgischen Adel rezipiert worden. Heinrich Mehr, ein 
tüchtiger Mann, der es in kursächsischen Kriegsdiensten vom Trompeter 
bis zum General gebracht hatte, war von Kaiser Leopold in den Reichs- 
freiherrnstand erhoben und gleichfalls rezipiert worden. 
Bei jenen Besuchen imponierte mir, was unsere mecklenburgischen 
Verwandten und Freunde im Essen leisten konnten. „Aet du man langsam, 
min Sön, du glövest nich, wat sich dahldrucken lätt‘‘, war eine Mahnung, 
die der mecklenburgische Bauer gern an seinen Sohn richtete. Die Reihen- 
folge der täglichen Mahlzeiten eines mecklenburgischen Landmannes wurde 
uns wie folgt geschildert: Ganz früh, ehe er aufs Land geht, nimmt er ein 
reichliches Frühstück zu sich, um acht Uhr folgt ein zweites Frühstück, 
„Hochimpt‘ oder „Kleinmittag‘“ genannt, ebenfalls reichlich, begleitet von 
Bier oder Branntwein. Wenn er dann wieder zur Arbeit geht, nimmt er 
vorsichtigerweise ein tüchtiges Butterbrot mit, für den Fall, daß dem 
Magen flau werden sollte. Um zwölf folgt die Hauptmahlzeit, die aus 
Rindfleisch, Speck, Schinken, Kartoffeln, Hülsenfrüchten usw. besteht, 
auch aus frischen Gemüsen der Jahreszeit, die aber als Sättigungsmittel
	        
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