Full text: Die Weltgeschichte. Erster Theil. Das Alterthum. (1)

Orakel und Mysterien. 97 
Nnenschlicher Gestalt. Zeus erschien ihnen nicht als Donner, Blitz und 
Regen, sondern Zeus blitzte, donnerte und regnete nach seinem Wohlge- 
sallen; Apollo und Artemis lenkten die Sonne und den Mond mit gol- 
denen Gespannen am Himmel dahin; Poseidon bewegte oder sänftigte die 
Wellen des Meeres und erschütterte die Erde; der Flußgott schleuderte 
seine Fluthen über das Ufer, oder sandte sie ruhig in ihrem Geleise, 
Boreas trieb aus dem Norden die erstarrende Luftmasse herbei u. s. w. 
Die Götter beherrschten aber nicht bloß die Elemente, sondern auch die 
Thierwelt; Zeus liebte den Adler, der in der Gewitterwolke schwebt, 
Apollo den schnellen Habicht, Pallas Athene die das Dunkel durchblickende 
Nachteule, und durch ihre Thiere machten die Götter dem Menschen 
ihren Willen vielmal kund, gerade wie durch Blitz, Donner, Erdbeben, 
Ueberschwemmung, Sturm u. s. w. Denn nach dem Glauben der Hel- 
lenen sahen die Götter auf den Menschen, liebten oder haßten ihn je 
nach seinem Thun und Treiben, und ob ein Unternehmen gelingen oder 
mißlingen sollte, das stand in dem Willen der Götter. Diesen Willen 
zu erkennen mußte also der Wunsch eines jeden sein; die Götter aber 
offenbarten denselben durch Zeichen, welche sie in der Natur gaben, durch 
Sonnenfinsternisse, Erdbeben, Ueberschwemmungen, Blitz und Donner, 
Unfruchtbarkeit, Krankheit u. s. w., indem sie ihre Thiere als Boten 
sandten: den Adler, Habicht, die Nachteule, die Schlange, den Wolf, 
oder durch Zeichen an den Opferthieren u. s. w. Der Mensch brauchte 
also nur zu sehen und zu achten, welche Zeichen die Götter gaben und 
er konnte nicht irren. Da indessen dieser Zeichen so vielerlei waren, 
daß nicht jeder alle zu unterscheiden und zu deuten vermochte, so ver- 
liehen die Götter dem einen und anderen Menschen die Gabe ihre Zei- 
chen zu sehen und zu deuten; diese Zeichendeuter standen in hohem An- 
sehen und wurden von den alten Hellenen gleich den Helden geehrt. 
Auch hatten die Götter einige Orte auserwählt, die sie besonders 
liebten, und wo sie der Mensch am erfolgreichsten um Kundgebung ihres 
Willens bat (daher oracula, Orakel). Ein solches war das des Zeus 
in Dodona, das des Trophonius (der unterirdische Hermes) in der 
wundervollen Höhle bei Lebadea, von allen das berühmteste aber das 
des Apollo zu Delphi am Fuße des Parnassus. Aus einer Felsenspalte 
siieg, erzählten gläubige Hellenen, ein übernatürlicher Dampf auf, wel- 
cher Menschen und Thiere betäubte, dagegen die Priesterin des Apollo, 
die Pythia, begeisterte. Auf einem Dreifuße sitzend, angeweht von dem 
Götterhauche, gerieth diese in krampfhafte Verzückung, weil ihr sterbli- 
cher Leib zu schwach war den Hauch Apollo's zu ertragen, und während 
ihre Nerven bebten, verkündigte sie in abgebrochenen Worten den Wil- 
len der Götter. Die Priester fügten diese Worte in Verse und gaben 
sie den Rathsuchenden, welche in der Regel die abgebrohenen Worte 
Bumüller, Gesch. d. Alterth.
	        
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