Full text: Die Weltgeschichte. Erster Theil. Das Alterthum. (1)

98 Perser und Griechen. Europas Sieg über Asten. 
der Pythia nicht verstanden. Dieses Orakel war ursprünglich ein dori- 
sches, wurde aber ein allgemeines und von Städten, Königen und ein- 
zelnen Bürgern befragt; der Tempel wurde reichlich beschenkt mit Gold 
und Silber, Gefässen und Bildsäulen, so daß er viele Millionen ein- 
schloß, und er galt für so beilig, daß Städte und Bürger da ihre Schätze 
als an dem sichersten Orte niederlegten. Wir wissen nicht, was die Py- 
thien für Weiber gewesen sind, ob vielleicht mit einer Organisation, die 
jenen Zustand erzeugt, den man jetzt Somnambulismus neunt, oder ob 
alles Werk der Priester war; so viel ist gewiß: die Orakelsprüche lau- 
teten meistens sehr zweideutig (wie jener des Krösus und später der des 
Pyrrhus), oft kaum deutbar und meistens räthselhaft. Ebenso glaub- 
ten die alten Hellenen zwar wohl der Wahrhaftigkeit des Apollo, aber 
nicht immer den Priestern, durch deren Hand der Götterspruch ging, 
daher sie vielmal nach Delphi mit Gold kamen, das nicht zu einem 
Weihegeschenke für den Gott, sondern zu einer wirksamen Gabe für die 
Priester bestimmt war. Endlich dürfen wir es nicht verschweigen, daß 
von Delphi viele Orakelsprüche ausgingen, welche die Hellenen von 
Grausamkeit und Brudermord abhielten oder sie wie z. B. im Perser- 
kriege zur Ausdauer ermunterten. Mit dem Sinken des griechischen Bol- 
kes verstummte allmählig auch das delphische Orakel und schwieg endlich 
gänzlich. Die Felsenspalte, über welcher der ppthische Dreifuß stand, 
wurde in der christlichen Zeit verschüttet und die Stelle unkenntlich ge- 
macht, damit der Aberglaube nicht in Versuchung käme, dort heidnische 
Ceremonien vorzunehmen oder den Teufel zu beschwören, der nach dern 
Glauben vieler Christen als griechischer Apollo gewirkt hatte. 
„Ihr Griechen seid immer Kinder“, sagte ein ägpptischer Priester 
zu Solon, als dieser auch nach Aegypten gekommen war. Ihr Götter- 
glaube war wirklich ein sehr jugendlicher und heiterer; denn das gereif- 
tere Nachdenken hätte sie zu der Frage führen müssen: Woher kommt 
denn die ganze Welt, woher kommen die Götter selbst? was wird aus 
der Welt, den Göttern und den Menschen einst werden? Auf diese 
Fragen über die Entstehung aller Dinge, über die Herkunft der Götter, 
über die Bestimmung des Menschen, über Belohnung und Strafe jen- 
seits des Grabes haben, wie es scheint, Mysterien Antwort gegeben. 
Sie waren geheime Götterfeste, und wer daran Theil nehmen wollte, 
mußte sich verschiedenen Weihen unterziehen. Die Feier war ernster als 
bei allen andern Festen, und bestand aus sehr vielen Ceremonien, Ge- 
sängen und Gebeten. Die Sprache selbst war dunkel, selbst unverständ- 
lich, wie einige uns erhaltene Gebetformeln beweisen. Die Mysterien 
widersprachen übrigens dem hellenischen Volksglauben nicht (am wenig- 
sten lehrten sie den Glauben an Einen Gott, wie man wohl schon be- 
hauptet hat), sondern ergänzten denselben vielmehr. Solche geheime Göt-
	        
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