Full text: Die Weltgeschichte. Erster Theil. Das Alterthum. (1)

Philosophie und Poesie. 99 
terfeste wurden auf der Insel Samothrale und in Eleusis bei Athen ge- 
feiert, ohne Zweifel Ueberreste aus der Zeit der Pelasger, nun aber von 
den Hellenen selbst in hoher Verehrung gehalten, und es fanden sich 
aus allen Gegenden Männer ein, in denen sich die Sehnsucht nach tie- 
ferer Erkenntniß regte. 
Philosophice und Porsie. 
So lehnte sich im eigentlichen Griechenland das Streben und Rin- 
gen nach Wahrheit (dies war es, wenn es auch nicht zum Ziele führen 
konnte) an das Vermächtniß vorhellenischer Zeit, an pelasgischen Glau- 
ben und Dienst an; andererseits kamen die Hellenen, besonders die in 
Kleinassen, mit andern Völkern in Berührung, welche einen ganz an- 
dern Götterdienst hatten, und mit Priestern, welche über die Götter und 
die Welt und ihr Verhältniß zu den Menschen tief ausgedachte Lehren 
mittheilten. Der hellenische Geist wurde durch diese Mittheilung zum 
Forschen angeregt und darum treffen wir in Asien zuerst jene Philoso- 
phen, welche es kühn unternahmen, das Räthsel aufzulösen, woher die 
körperliche Welt ihr Dasein habe, was ihre Ordnung im Wechsel be- 
wahre, wie der Geist sich zu dem materiellen Stoffe verhalte u. s. w. 
Sie stellten darüber die verschiedensten Meinungen auf, entwickelten eine 
erstaunliche Schärfe des Verstandes und einen hohen Schwung der Phan- 
tasie, konnten aber aus begreiflichen Gründen nicht zur Wahrheit durch- 
dringen. Doch zogen diese Philosophen (die bedeutendsten Namen wer- 
den wir an einem andern Orte nennen) die Aufmerksamkeit der lebhaf- 
ten Hellenen in hohem Grade auf sich und es entstand ein geistiger Ver- 
kehr zwischen dem Mutterlande und den Kolonieen, dessen Regsamkeit sich 
mit der Zeit in's Unglaubliche steigerte. Durch die Philosophie unter- 
schied sich der Hellene von dem Barbaren so gut wie durch die Sprache; 
denn der rohe Barbar dachte nicht in solcher Richtung, der Hindu und 
Aegyptier aber durfte nicht in dieser Richtung denken, weil ihm die 
Piesterkaste dies als Zweifel ausgelegt hätte. 
Auch die Poesie entfaltete sich in den Kolonieen rascher und leb- 
hafter als im Mutterlande; denn der Himmel Joniens war noch reiner 
als der Griechenlands, die Luft noch milder, der Boden Siciliens und 
Unteritaliens noch fruchtbarer, der Verkehr noch reger — also das Le- 
ben hejterer und reicher, der Geist lebendiger. Doch blieb das eigent- 
liche Hellas nicht zurück; mußte es auch den Joniern den Homer als 
ihren Sohn lassen (sieben Städte stritten um die Ehre, sein Heimath- 
ort zu sein: Smyrna, Rhodos, Kolophon, Salamis, Chios, Argos, 
Athen, so kannte es doch frühe seine Lieder und hatte Sänger in Fülle, 
welche die Namen der Helden aus dem Gedächtnisse des Volkes nicht 
verschwinden ließen. Hesiod aus Askra in Böotien schloß sich an die 
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