Die Sophisten. 175
dem Denken und Lehren ein Gewerbe machten. Hätten sie sich mit
Untersuchungen über Sonne, Mond und Sterne beschäftigt, oder ihren
Scharfsinn an den vier Elementen geübt, so wären sie wohl manchmal
mit dem Volksglauben in Widerspruch gekommen, indessen würde dies
keine tief einschneidenden Wirkungen hinsichtlich des gesellschaftlichen,
staatlich-religiösen Lebens gehabt haben. Denn da Demokrit seine Atome
so wenig beweisen konnte als Kenophanes sein All und Eines oder Tha-
les die Würde des Wassers als des allgemeinen Urstoffes, und da über-
dies der Nachfolger regelmäßig das System des Vorgängers umstürzte,
so wären alle diese Theorieen auf einen kleinen Kreis beschränkt geblieben,
weil das Volk an unfruchtbaren Gedankenwerken niemals Freude hat.
Allein die Sophisten benutzten die eleatische Dialektik nicht bloß um die
Täuschungen der Sinnenwelt aufzudecken, sie bewiesen nicht nur, daß un-
sere Anschauung der Dinge eine trügliche sei, sondern zeigten auch, daß
die Begriffe von recht und unrecht, gut und bös, schön und häßlich, kurz
die sittlichen Begriffe keinen Halt hätten. Sie machten durch die Fer-
tigkeit ihrer Rede die gute Sache zur schlechten und die schlechte zur
guten. Sie konnten üÜüber alles sprechen, was man ihnen vorlegte, und
sprachen auch über alles, weil selten sich temand im Stande fühlte, ihre
Unwissenheit aufzudecken, zumal sie durch ihre Redefertigkeit den we-
niger Geübten zum Gespötte machten.
Hauptsitz der Sophisten war Athen; in Sparta mußte man kurz
und bündig reden, da lernten die Jünglinge schweigen, dagegen in Athen,
wo 20,000—30,000 Böürger zu reden das Recht hatten, wo jede Staats-
angelegenheit, jede Gerichtssache durch Redner und Gegenredner einge-
fübrt wurde und die Entscheidung je nach dem Eindrucke ausfiel, welchen
die Reden gemacht hatten, mußte jeder Jüngling reden lernen, welcher
einmal ein Amt zu begleiten gesonnen war. Diese Sophisten aber waren
die Lehrer, bei welchen die jungen Leute, namentlich zu Athen, um
schweres Geld die Redekünste lernten, mit welchen die Meister alles be-
weisen konnten, selbst das Entgegengesetzte, und über alles zu sprechen
wußten, ob sie etwas davon verstanden oder nicht. Sie richteten eine
beillose Begriffsverwirrung an, unter ihren Schülern zuerst und diese
hinwiederum unter dem Volke; Jung-Athen besaß für alle Dinge, die
man sonst für lüderlich und schlecht gehalten hatte, eine Entschuldigung
und Rechtfertigung, und gegen alles, was sonst als wahr und heilig
gegolten hatte, einen geistreichen Zweifel und Spott. So blieb den
Athenern, besonders den vornehmen, nichts übrig, an das sie glaubten,
als Ehrgeiz, Geldgeiz und Sinnengenuß, und diese Triebfedern sehen
wir auch mit geringer Ausnahme wirksam; nur das gemeine Volk be-
bielt seine Religion bei, allein in der Gestalt des Aberglaubens; dieser
erlaubte alles: Grausamkeit, Wollust, Undank und Haß, wenn nur