Full text: Die Weltgeschichte. Erster Theil. Das Alterthum. (1)

238 Die Roͤmer. 
eines Gesetzes erwählt würden, damit die Plebs einmal wisse, welches 
Recht die Konsuln gegen sie zu beachten hätten. Nach 10fährigem er- 
bittertem Widerstande willigten endlich die Patricier ein und aus ihrer 
Mitte wurden zehn Männer erkoren, welche die Gesetze sammeln, ord- 
nen und dem Volke vorlegen sollten. Unterdessen wurden alle anderen 
Aemter suspendiert und alle Gewalt diesen zehn Männern, Decemvirn, 
übergeben. Das erste Jahr regierten sie wirklich so zu der Plebejer 
Wohlgefallen, daß sich diese Glück wünschten; auch machten sie Gesetze 
bekannt, welche in der Volksversammlung angenommen wurden. Man 
grub dieselben in zehn eherne Tafeln ein, und da später noch zwei Ta- 
seln dazu kamen, so hießen diese Gesetze die der 12 Tafeln und wurden 
die Grundlage des im Laufe der Zeit so unübertrefflich fein ausgebilde- 
ten römischen Rechtes. Weil die Gesetze noch nicht vollständig gesammelt 
waren, und die Decemvirn gut regiert hatten, so wurden sie im folgen- 
den Jahre wieder erwählt; einer von ihnen, Appius Klaudius, erlaubte 
sich jedoch so unverschämte Werbung, daß man wohl sehen konnte, die 
Herren seien keineswegs Willens ihre Stellen so bald niederzulegen. 
Im zweiten Jahre regierten sie nach eigenem Wohlgefallen, die Plebs 
wurde wieder so arg gedrückt als je, die Kriege dauerten fort, und bei 
der Mißstimmung der Plebeser nicht zum Vortheile der Stadt. Die 
Decemvirn ließen sich bereits tvrannische Handlungen zu Schulden kom- 
men, die jedes andere Volk als die ehrenhafte, treue Plebs zu blutigem 
Aufruhr gereizt hätten. In dem römischen Heere diente ein ausgezeich- 
neter Soldat, P. Sicinius Dentatus, der 120 Gefechten beigewohnt 
und viele Feinde mit eigener Hand getödtet hatte; er trug 45 Wunden 
und alle Ehrenzeichen, die ein römischer Soldat verdienen konnte. Er 
war aber ein Gegner der Decemvirun und hatte keck gegen sie gesprochen; 
das sollte er nun entgelten. Sie schickten ihn ab, damit er einen Lager- 
platz besichtige; aber in einer Schlucht wurde er von Meuchelmördern 
überfallen, denen er nach tapferer Gegenwehr unterliegen mußte. Nie- 
mand im Heere glaubte, daß er von den Feinden überfallen worden sei, 
man schrieb die That den Decemvirn zu und die Ermordung ihres 
tapfersten Kameraden erbitterte die plebejischen Krieger auf das äußerste. 
Das Maß der Decemvirn wurde aber in Rom selbst voll; der frechste 
unter ihnen, Appius Klaudius, ließ die Tochter eines wackeren Haupt- 
manns, Virginius, von seinem Klienten entführen, um sie als Sklavin 
seiner Lust zu opfern. Falsche Zeugen beschworen vor dem Richterstuhle 
des Appius, daß Virginia die Tochter der Sklavin des Klienten und 
dem Weibe des Virginius unterschoben worden seiz die Einsprache des 
Vaters und des Bräutigams wurde nicht gebört. Als Virginius aber 
sah, daß die Knechte Hand an seine Tochter legen wollten, trat er mit 
ihr auf die Seite und erftach sie, weil er ihre Ehre nicht anders reiten
	        
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