Die Plebejer werden römische Vollbürger. 245
Ehrenfester Charakter der Römer.
Die nothwendigen Folgen dieser Demokratisierung der römischen
Verfassung zeigten sich aber nicht so rasch, als dies z. B. in Athen ge-
schehen war, und zwar aus mancherlei Gründen, von welchen drei die
bedeutendsten find: 1) Waren die Plebejer sehr religiös, und da sie
von der religiösen Wissenschaft, d. b. den verschiedenen Ceremonieen,
Augurien, Auspicien u. s. w. nicht so leicht Kenntniß nehmen konnten
wie die Patricier, so waren die letztern meistentheils in dem Besitze der
priesterlichen Aemter und benutzten dieselben gut, um den Plebejern den
Zaum anzulegen, wenn diese vorwärts wollten. Außerdem ging diese
Religiosität auch noch tiefer; der Plebejer schauderte vor dem Gedanken,
seinen geschworenen Eid zu verletzen und die Strafe der Götter über sich
herauf zu beschwören; von der Spielerei mit dem politischen Eide, die
in unsern Tagen in Folge von Revolutionslehren zu einem Krebsscha-
den geworden ist, verstand er nichts, — der Römer kannte nur Eid und
Meineid. Er hielt es für die schwerste Sünde Bürgerblut zu vergießen,
denn der Bürger war mit dem Bürzger durch ein heiliges Band, durch
Opfer, Feste, die gemeinschaftlichen Penaten und schützenden Götter ver-
bunden; die Opfer wurden ihm zur Verdammniß und die Götter zu
Rächern, wenn er seinen Mitgenossen tödtete, ihn verrieth oder schä-
digte. 2) Die Plebejer waren arbeitsame, genügsame Leute, größten-
theils kleine und mittlere Bauern, die nicht im Müßiggang dahin lebten
oder ihr Eigenthum verpraßten; sie waren eben darum nicht besonders
aufgelegt, ihre Zeit mit Politik zu vertreiben und noch weniger Müßig-
gängern, die in der Politik Geschäfte machen wollten, nachzulaufen und
ihre wenigen asses abzugeben. Diese ehrenfesten Plebejer mußten zuerst
zum Müßiggange, zur Genußsucht und Lüderlichkeit verführt werden,
ehe sie vom gewissenlosen Ehrgeize Einzelner zum Revolutionmachen
mißbraucht werden konnten. 3) Der römische Senat war eine Ver-
sammlung, wie die Welt seitdem keine zweite gesehen hat. Ein Senator
war in der Regel auch der Sohn eines Senators oder eines angesehenen
Bürgers; seine Erziehung war eine römisch-ernste und religiöse; was er
als Knabe und Jüngling von seinem Vater über die Angelegenheiten
der Stadt und die bürgerlichen Verhältnisse hörte, waren Worte eines
gewissenhaften, erfahrenen und klugen Mannes, und diesen Worten ent-
sprach seine Handlungsweise. Die römischen Söhne bildeten sich nach
ihren Vätern, darum treffen wir auch die merkwürdige Erscheinung, daß
in den guten Zeiten des römischen Staates die politischen Grundsätze
in den Familien forterbten, z. B. bei den Klaudiern, Valeriern, Ho-
ratiern, Korneliern, und der Vater gegen den abtrünnigen Sohn der
strengste Richter war, z. B. J. Brutus, Sp. Kassius, Fulvius u. s. w.
Der römische Jüngling, der Sohn des Senators so gut als der des