Ausbreitung der römischen Kultur; Vernichtung der Natlonalitäten. 337
sie in römischen Instituten ihre Ausbildung erhielt; der gleiche römische
Schriftsteller, welcher zu seinen Göttern betet, daß die unbezwingbaren
Germanen sich fortwährend selber aufreiben möchten, erzählt mit scha-
denfroher Lust, wie die kaum besiegten Britannen ihre Jünglinge aus
den vornehmen Familien römisch erziehen ließen und wie sich diese wett-
teifernd römische Bildung aneigneten! Noch tiefer griff aber das rö-
mische Gerichtswesen in die fremden Nationalitäten ein; der Provinziale
wurde von römischen Richtern nach römischem Rechte und in römischer
Sprache gerichtet; der Gerichtsort selbst war ein Municipium, eine Ko-
lonie oder Präfektur, d. h. ein römischer Ort; da mußte wohl jeder
Provinziale, der als Grundbesitzer, Handwerker, Geschäftsmann u. s. w.
an dem bürgerlichen Verkehre Antheil hatte, sich nothgedrungen mit der
römischen Sprache und dem Gesetze vertraut machen, wenigstens bis auf
einen gewissen Grad.
Ueberdies bemächtigten sich die Römer des religiösen Lebens der
unterworfenen Völker; sie machten die fremden Götter zu den ihrigen;
entweder fanden sie in einem fremden Gotte einen ihrer eigenen wieder,
was meistens der Fall war, dann trat der römische Kult an die Stelle
des einheimischen oder vermischte sich mit demselben, oder der fremde
Gott wurde als ein neuer in die Reihe der römischen aufgenommen,
neben denselben verehrt und auf diese Weise der unterworfenen Nation
entrissen. So eroberte Rom mit der Welt auch deren Götter; nur der
zu Jerusalem verehrte Gott mußte der Weltstadt fremd bleiben, weil
dieser ausschließliche Anerkennung und Verehrung forderte; das Juden-
volk selbst im römischen Reiche war durch kein Mittel in den römischen
Guß einzuschmelzen und zudem den Römern eine ganz verachtete Nation;
wo aber eine religiöse Institution gefährlich schien, z. B. die Druiden
in Gallien und Britannien, da griff die römische Politik energisch ein.
Eine merkwürdige Erscheinung ist es daneben, daß Griechenland und
der griechische Orient auch unter der römischen Herrschaft griechisch blie-
ben. Dies erklärt sich indessen daraus, daß die Römer ihre Kraft mehr
auf den kräftigen Westen richteten, weil ihnen das herabgekommene, sieche
Griechenthum in Europa und Asien zu ungefährlich erschien, als daß sie
alle jene Mittel in Bewegung hätten setzen wollen, welche sie für die
völlige Unterwerfung der Länder des Westens als nothwendig erachteten.
Sodann waren die Griechen den Römern an Bildung so überlegen, daß
letztere schon zu den Zeiten der Republik bei den politisch ohnmächtigen
Griechen in die Schule gingen, und der Reiz griechischer Kunst und
Wissenschaft mußte um so mächtiger wirken, seitdem mit der Republik
das rege politische Leben aufhörte, welches die begabten Römer bisher
vollauf beschäftigt hatte.
Bumüller, Gesch. d. Alterth. 22