Full text: Die Weltgeschichte. Erster Theil. Das Alterthum. (1)

340 Das Reich der Cäsaren. 
Leidenschaft den Krieg entzündet und dessen Wechsel bedingt, wie z. B. 
im trojanischen, wo Kraft und Muth eines einzelnen Mannes ein Treffen 
entscheiden konnte; die Zeit der Römer ist bereits die einer entwickel- 
teren Kriegskunst und einer berechnenden Politik. 
Unter Augustus schuf P. Virgilius Maro seine kunstvolle Aeneis 
und folgte dabei dem griechischen Muster, Homer, in einer Weise, wie 
es in unserer Zeit nicht erlaubt wäre; nichtsdestoweniger zeigt Virgil 
einen so trefflichen Geschmack und bietet eine solche Fülle eigener Schön- 
beit, daß wir es begreifen, wie er der Liebling der Römerwelt werden 
konnte. National wurde aber sein Epos nie in der Art, daß er dadurch 
(wie Homer bei den Griechen oder Schiller bei den Deutschen) die Ent- 
wicklung der Gemüther zu edler Sitte und rühmlichem Streben geför- 
dert hätte; er blieb für die Römer eine vortreffliche Lektüre. Auch ist 
Virgil schon ein cäsarischer Römer; Aeneas, „der Gründer des römischen 
Volkes“, ist der Ahnherr Cäsars, der Rom zum zweitenmale gegründet 
haben sollte; des Aencas Sendung nach Italien ist eine göttliche, wie 
er selber der Sohn einer Göttin ist, und so soll auch Cäsars Beruf als 
ein göttlicher erscheinen, wie er durch die Abkunft von Aeneas göttlichen 
Stammes ist. Vollendeter in jeder Weise sind Virgils Gesänge von dem 
Landbau (in dieser Gattung nennt er sich selber den Nachfolger He- 
siods); wir vernehmen aus demselben einen Nachklang aus dem freien 
altitalischen Volksleben, wo noch der Bürger und nicht ausschließlich der 
Sklave das Feld bebaute. Seine Hirtengedichte sind von unnachahmlicher 
Kunst, sie machrn aber nicht den Eindruck wie die Gesänge vom Land- 
bau, weil die virrgil'schen Hirten weit mehr maskierte Hofleute als Hir- 
ten oder gar Römer alten Schlages sind. Die griechische Schule zeigt 
sich besonders bei den drei erotischen Dichtern Katullus, Tibullus und 
Propertius, von denen der ersie noch am meisten Römer ist und als 
Cäsars Zeitgenosse gegen ihn Partei nimmt; sie alle hätten unter alt- 
römischen Censoren die bürgerliche Degradation erlitten. Sie überbot 
Ovidius Naso aus Sulmo im Pelignerlande; Augustus strafte den be- 
reits bejahrten Dichter, als sich in der kaiserlichen Familie das von Ovid 
besungene und gelehrte Uebel zum allgemeinen Aergernisse kund gab, mit 
Verbannung nach Tomi am schwarzen Meere, in sarmatischer Nachbar- 
schaft; von dorther jammerte der Dichter vergebens um Gnade, er mußte 
dort sterben. 
Hingegen ehrte Augustus den O. Horatius Flakkus (wie Virgil 
war dieser ein Schützling des Mäcenas und wurde selbst der Freund 
dleses großen Staatsmannes) von Venusia, dessen Vater der Sohn eines 
Freigelassenen gewesen. Dem Horatius gebührt unter den römischen Dich- 
tern die Palme; in seinen Oden kehrt er freilich vielfach beutebeladen 
von seinem Ausfluge in die griechischen Blütenfelder zurück (dies bielten
	        
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