Full text: Die Weltgeschichte. Erster Theil. Das Alterthum. (1)

352 Oas Reich der Cäsaren. 
in einem fremden mysteriösen Heiligthume, nicht geopfert hatte; er hätte 
die Chaldäer fortgelagt, wenn es möglich gewesen wäre, und sein 
Schwiegersohn Agrippa baute allen römischen Göttern den herrlichen 
Tempel des Pantheon. Aber es gelang ihm doch nicht die altrömische 
Religion neu zu beleben und wieder herzustellen, ihre Zeit war aus. 
Die römische Lebenskraft war gebrochen; die Provinzen entvölkerten sich, 
in Rom selbst nahm die Ehelosigkeit dergestalt überhand, daß Anugustus 
mit Gesetzen einschritt und die Freiheit des Testierens für die Ehelosen 
beschränkte. Allein es half alles nichts; über Rom und die römische 
Welt lagerte der kalte Schatten des Unglaubens und Aberglaubens, eine 
bittere Unlust an der Gegenwart, erzeugt durch das Bewußtsein der 
Knechtschaft, während doch das Geständniß abgelegt werden mußte, 
daß ohne diese Knechtschaft, ohne den Schutz der Despotie das Leben 
vollends unmöglich wäre, weil die Reste der noch vorhandenen Kraft 
zerstörend gegen einander losgebrochen sein würden. War unter der 
milden und weisen Herrschaft des Augustus das Leben ein kaltes, in 
das die Namen der Vorzeit wie aus einer untergegangenen Welt her- 
überklangen, so war die Zukunft eine noch viel düsterere; denn wenn es 
dem künftigen Cäsar gefiel, seine Allgewalt über die Welt zu miß- 
brauchen, welche Zuslucht war dann noch geöffnet außer dem Tode? 
Jesus Christus. 
So hatte denn die alte Welt ihre Laufbahn vollendet; was die 
Menschheit aus sich selbst durch eigene Kraft entfalten konnte, batte sie 
entfaltet und abblühen sehen. Das Königthum des Ormuzd war zur 
Despotie geworden und Durch die Hellenen gefallen; die hellenische Frei- 
beit hatte sich selbst vernichtet; der bellenische Kultus des Schönen war 
in schnöder Sinnlichkeit untergegangen, das Forschen nach der Wahrbeit 
hatte in der Verzweiflung an aller Wahrheit geendet. Der Römer ent- 
wickelte alsdann die höchste bürgerliche Tugend durch seine Ehrfurcht vor 
dem durch die Väter geschaffenen Gesetze, durch seine Treue an dem 
Mitbürger und dem gemeinsamen Vaterlande, durch seine unübertroffene 
Tapferkeit im Kampfe für dasselbe; indem er aber neben sich kein Recht 
eines anderen Volkes duldete, alle Völker vernichtete oder in sich auf- 
nahm, so schuf er zwar eine Weltherrschaft, doch kaum hatte er diese 
errungen, so sah er zu gleicher Zeit sein Bürgerthum zerstört und das 
alte Rom vernichtet. Die Triebkraft der Völker war erloschen; die 
Schöpfungen der alten Zeit waren zu Ruinen geworden, unter ihnen 
Rom die gewaltigste, und die Menschen, die sich in ibnen aufbalten 
mußten, verzweifelten an ihrer Macht sie wieder herzustellen und harr- 
ten bang dem unvermeidlichen Einsturze entgegen. Die Götter waren
	        
Waiting...

Note to user

Dear user,

In response to current developments in the web technology used by the Goobi viewer, the software no longer supports your browser.

Please use one of the following browsers to display this page correctly.

Thank you.