Full text: Die Weltgeschichte. Erster Theil. Das Alterthum. (1)

372 Das Reich der Cäsaren. 
manchem Verluste gelang die Erstürmung dieses Bollwerkes. Die Juden 
achteten ihr Leben geringe, wenn sie nur den Römern Schaden zufügen 
konnten; aber diese standen hinter ihren Schanzen und vielmal konnten 
ihnen die Juden nicht auf den Leib kommen, während sie selbst durch 
Geschosse aller Art verwundet und getödtet wurden. In der Stadt 
selbst befehdeten sich die Anführer Eleazar, Johannes und Simon; wäh- 
rend dieser Kämpfe brachen Feuersbrünste aus, die einen Theil der Vor- 
räthe verzehrten. Bald fingen die Lebensmittel zu mangeln an, und 
dieser Mangel wuchs zur gräßlichsten Hungersnoth, welche ärger wüthete, 
als die Belagerung. Laut Josephus wurden bei einem einzigen Thore 
bis zum 1. Juli 115,000 Leichen hinausgeworfen; dieses Loos traf be- 
sonders die Armen, die kein Verwandter begrub; im Ganzen wurden 
nach der Aussage südischer Ueberläufer 600,000 Leichen über die Mauern 
geworfen. Und dennoch ermattete der Widerstand nicht; vergebens bot 
Titus den Belagerten Gnade an, wenn sie sich unterwerfen würden, 
vergebens ließ er einige tausend Gefangene kreuzigen, um die Juden zu 
schrecken, sie blieben unbeugsam und harrten des Messias. Als Titus 
den Tempel angriff, stießen die Widder sechs Tage vergeblich gegen die 
Fundamente der östlichen Tempelhalle; darum warfen die Soldaten Feuer 
ein und stürmten mit Leitern. In der Sturmesnoth beachteten die Ju- 
den aufänglich das Feuer nicht, bis es ein Gebäude nach dem andern 
ergriff, während zu gleicher Zeit die Römer mordend vordrangen. Ein 
römischer Soldat schleuderte einen Brand in den eigentlichen Tempel, 
welcher nun ebenfalls zu brennen anfing; vergebens befahl Titus zu 
löschen, das Feuer griff um sich und verschlang das ganze prachtvolle 
Gebäude; 6000 Juden harrten auf der Höhe des Tempels auf das 
Wunder, das in der höchsten Noth retten sollte; sie kamen um wie alle 
Vertheidiger des Tempels (9. Aug.). Dennoch wehrten sich einige tau- 
send Rasende bis zum 11. September in der obern Stadt, bis auch sie 
verzweifelten, ihre festen Thürme und Mauern verließen und ihr Heil 
in der Flucht suchten. Vergeblich, denn die stürmenden Römer machten 
so lange alles schonungslos nieder, bis sie des Mordens müde waren; 
die ganze Nacht und den folgenden Tag brannte Jerusalem. So ging 
die heilige Stadt in Blut und Flammen unter; nur die drei Thürme 
des Herodes: Hippikus, Phasaslis und Mariamne, ließ Titus stehen, 
damit die Nachwelt erkenne, welche Festungswerke die Römer erobert 
hätten. Ueber eine Million Juden waren durch Hunger und Schwert 
umgekommen, 97,000 wurden gefangen und entweder in die Bergwerke 
und Steingruben geschickt, oder als Sklaven verkauft, oder im Cirkus 
den wilden Thieren und Gladiatoren gegenübergestellt. Noch steht der 
Triumphbogen, durch welchen Titus mit seinem siegreichen Heere in Rom 
einzog; darauf ist der goldene Leuchter, der Schaubrotetisch und anderes
	        
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