380 Das Reich der Cäsaren.
weil Politik die Römer immer weniger beschäftigte, sodann weil sie rö-
misches und griechisches Wesen immer mehr durchdrungen hatte. Die
Anzahl der Schriftsteller in jener Zeit ist sehr groß, doch arbeiteten die
wenigsten selbstständig, sondern die meisten befaßten sich mit Auszügen
und Sammelwerken von sehr ungleichem Werthe.
Unter den Geschichtschreibern ragt Korn. Tacitus hervor, der Schwie-
gersohn des Agrikola, welchem er ein unvergängliches Denkmal in seiner
Lebensbeschreibung setzte. Von seinen Hauptwerken, den Annalen und
Historien, ist ein großer Theil für uns verloren, sonst besäßen wir ein
vollständiges Gemälde der ganzen Schreckenszeit von Tiberius bis Ves-
pasian. Mit düsterem, hoffnungslosem Ernste, aber freiem Blicke schreitet
Tacitus durch diese Zeit der Verwesung und Zerstörung; er erklärt,
warum sich die Römer die Herrschaft des Augustus und die Despotie
des Tiberius gefallen lassen mußten; daß das römische Volk zu verdor-
ben war, um die republikanische Verfassung noch länger aufrecht erhalten
zu können; dies beschönigt er aber keineswegs mit den Ausdrücken:
„Potenzierung, nothwendige Entwicklung“ u. dgl.; ebenso wenig aner-
kennt er einen Beruf des Julius Cäsar oder des Oktavianus, der sie
berechtigte, die erschütterte Republik umzustürzen und auf ihren Trüm-
mern eine Militärmonarchie zu erbauen; die Schlechtigkeit und Schwäche
des einen Theils ist bei ihm keine Entschuldigung für den Angriff des
anderen, beide sind ihm Zerstörer der Republik, des schönen und wür-
digen römischen Lebens. Er täuscht sich auch darüber nicht, daß es mit
der römischen Herrlichkeit zur Neige gehe; noch eine Periode wie die
von Tiberius bis auf Bespasian, und die Despotie mußte den Rest des
römischen Charakters verzehren, die blutigen Schlachten der nebenbuhleri-
schen Heere die streitbare Mannschaft des Reiches aufreiben, der Wohl-
stand der Provinzen durch die inneren Kriege und das damit verbundene
Raubsystem vernichtet werden und dadurch das Staatseinkommen ver-
siegen, so daß es den lauernden Barbaren voraussichtlich gelingen mußte,
ganze Provinzen von dem rômischen Reiche abzureißen. Die Macht der
Parther unterschätzte Tacitus nicht, fürchtete jedoch von ihnen keine ernst-
liche Gefahr für das römische Reich, desto drohender aber erschienen ihm
die zahllosen Stämme der Germanen. Die Ueberlegenheit der römischen
Kultur gegenüber den halbwilden Germanen gab ihm nicht wie seinen
Landsleuten das Gefühl der Sicherheit; er wußte zu gut, daß auch ein
Barbar politische Plane entwerfen und ansführen kann. Vor was ihm
am meisten bangte, das war die Vereinigung der germanischen Stämme
zu einem Angriffe auf das römische Reich in einem Zeitpunkte, wo das-
selbe von keinem Trajan regiert wurde, sondern sich unter Gegenkaisern
zersleischte. Bei den Germanen sah er alles, wodurch ein Volk groß zu
werden vermag: starke Leiber, durch Ueppigkeit und Ausschweifung nicht