Hellenen. 81
dernden Hellenen als kriegerische Stämme, welche unter Heldenführern,
zu Land und Meer auf Abenteuer ausgehen und lieber von der Beute
und den Gaben der Ueberwundenen leben, als den Acker anbauen und
Gewerbe treiben, ungefähr wie unsere Vorfahren zur Zeit der Völker-
wanderung. Die friedlichen Pelasger wurden entweder vertrieben, oder
zu Leibeigenen, vielmal auch wahrscheinlich zu Unterthanen gemacht; sie
verschmolzen später mit den Hellenen zu einem Volke, was um so leichter
geschehen mußte, weil beide Völker stammverwandt waren. Diese Ver-
mischung zeigt sich besonders in der Religion des Hellenenvolkes oder,
wie wir es zu nennen gewohnt sind, der Griechen. Götter wurden auch
von den Hellenen verehrt, besonders der Sonnengott Apollo, doch eigent-
liche Priester besaßen sie keine; ihre Helden oder Häuptlinge und jeder,
der ein Opferthier vermochte, opferten und theilten von dem Opfer-
schmause denen mit, welche sie ehren wollten; sie schauten nach den
Zeichen, durch welche die Götter ihren Willen offenbarten: Blitz und
Donner, Vogelflug, Opferthiere u. s. w., deuteten dieselben oder ließen
sich dergleichen von einem Zeichendeuter auslegen. Dieser Mangel an
einem Priesterstande (der bei den meisten germanischen Stämmen wieder-
kehrt) übergab die ganze religiöse Ueberlieferung dem Gedächtniß des
Volkes, welches dieselbe in Gebetformeln und Lieder faßte; daher sind
es bei den Hellenen die Sänger, welche ihnen die Abkunft der Götter
und deren Thaten melden, und eben deßwegen mußte die religiöse Ueber-
lieferung manche Umgestaltung erleiden, weil die Phantasie des Sängers
sich nicht in die Schranken einschließt, mit denen die Priesterschaften der
Inder, Aegyptier und anderer Völker ihre Götterlehren umschloßen; denn
jede Priesterschaft hatte ihre Gesetze und Normen, ohne die sie nicht be-
stehen konnte, und wie sie selbst reguliert war, so mußte sie auch ihre
Lehren und ihren Kult regulieren. Zudem waren die Hellenen wan-
dernde Stämme; ihr Götterglaube haftete daher nicht an heiligen Stät-
ten z. B. Bergen, Hainen, Quellen, Tempeln und Opferstätten u. s. w.,
wie wir es bei andern heidnischen Völkern finden, welche in ihren ve-
terlichen Wohnsitzen verblieben, z. B. bei den alten Sachsen am Harze
und an der Irmensul, bei den Babyloniern an ihrem Baalstempel und
Thurm. Als die Hellenen sich unter den Pelasgern ansiedelten, fanden
sie überall Heiligthümer und Kulte, welche sie nur ausnahmsweise zu
stören wagten, in der Regel aber mit ehrfurchtsvoller Scheu betrachteten,
weil nach ihrem Glanben (und dieser fndet sich bei allen Völkern, welche
eine Göttervielheit bekennen, bei allen Polptheisten) jeder Ort, Berg,
Vluß, Quelle, Stadt u. s. w. seinen Schutzgott hatte, den sie nicht be-
leidigen durften, wenn sie nicht dessen Zorn auf sich laden wollten, die-
sen Zorn aber fürchteten sie. Im Laufe der Zeit mußten die pelas-
Zischen Gstter daher auch Götter der Hellenen werden, um so mehr,
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