Allmaͤhliges Aufhören der Königswürde. 87
Götter ehrt und Gerechtigkeit übt, damit ihn die Götter schirmen und
sein Name durch der Sänger Mund zur Kunde künftiger Geschlechter
getragen werde. Sie sangen von der Strafe, welche die Götter über
den Frevler verhängen, von den Qualen der Gottlosen in der Unter-
welt; wie der Meineid langsamen aber sicheren Schrittes den Verbrecher
einholt und ihn oder sein Geschlecht vernichtet. So wurden die unter
dem Namen des Homer gesammelten Gesänge der Griechen Helden-
huch (um einen heutigen Ausdruck zu gebrauchen), aus welchem noch die
späten Geschlechter Muster ihrer Nachahmung schöpften. Homer war der
Sittenlehrer der ganzen Nation, und zugleich ihr Religionslehrer,
als der Träger des religiösen Glaubens der Vorfahren, da den Hellenen
keine Priester in heiligen Büchern die Religion und deren Satzungen
aufbewahrten. Durch die homerischen Gesänge wurden die entzweiten
Hellenen immer wieder erinnert, daß sie schon in der Vorzeit ein Volk
gewesen, welches seine Ehre gemeinschaftlich gegen die Barbaren verthei-
digte und durch die Gunst der Götter einen glorreichen Sieg über Asien
errang. Homers Gesänge wurden die Quelle, aus welcher spätere
Dichter schöpften und den nationalen Sinn immer wieder erfrischten.
Kein Volk hat einen Homer hervorgebracht (die Bibel ist göttlichen Ur-
sprungs und gehört der Menschheit); in dem despotischen Asien war es
unmöglich, denn unter der Despotie gibt es keine Helden, nur Krechte,
welche in die Schlacht getrieben werden; Priesterkasten führen ein Volk
bis zu einer gewissen Stufe der Kultur, aber sie dulden die geistige Er-
hebung des Einzelnen nicht und ziehen unübersteigbare Schranken zwischen
sich und den andern Ständen, zwischen ihrer Nation und fremden Na-
tionen. Die Germanen erscheinen unter allen Völkern den Hellenen am
nächsten stehend; allein sie bewohnten Länder, welche von der Natur
weniger begünstigt waren als Hellas, und ihre Fortbildung übernahm das
Christenthum, daher konnten ihre Sänger für sie nie das werden, was
Homer den Hellenen gewesen.
Die alten Aönige der Griechen.
Allmähliges Aufhören der Königswürde.
Die griechischen Stämme und Städte hatten anfänglich ohne Aus-
nahme Könige, ihre Herrschaft erstreckte sich aber nie über ein großes
Gebiet und war ebenso wenig eine despotische. Der König führte im
Kriege die streitbaren Männer an und war mit den andern Edlen Vor-
kämpfer in der Schlacht. Im Frieden saß er mit denselben auf offenem
Markte zu Gericht, mit ihnen berieth er die allgemeinen Angelegenheiten.
Das Volk hörte dann wohl zu und gab durch Beifall oder Murren
seine eigene Meinung zu erkennen; jedoch hing die Entscheidung nie