Die Klöster. 35
gestern her. Solche Bücher wurden hoch gehalten und streng verwahrt;
doch kamen die Mönche um manches, besonders durch hohe Gäste, welche
aus der Bibliothek entlehnten und nicht wieder beimgaben.
Andere Mönche arbeiteten kunstvoll in Holz und Erz, sie schnitten
oder goßen und schmückten ihre Kirche aus. Ein St. Galler Mönch,
Namens Tancho, hat vielleicht die erste Glocke diesseits der Alpen ge-
goßen. Man erzählt, Kaiser Karl habe sich so sehr über deren Klang
gefreut, daß er dem Künstler einen Centner Silber gab, um eine noch
schönere zu gießen. Allein das Mönchlein sperrte einen Theil des Sil-
bers in seine Truhe und goß die Glocke mit minder kostbarem Zusatz.
Als er sie aber läutete, fiel der Klöppel heraus und erschlug ihn; auf
diese Weise kam der Unterschleif an den Tag. Damals hatte man noch
keine Glockenthürme; die Glocken hingen neben der Kirche in einem
niederen Gerüste, das mit einem hölzernen Dache bedeckt war. Dieses
Gerüste wurde allmählig höher und hob sich über die Kirche; so entstan-
den die Glockenthürme, welche wie Fingerzeige zum Himmel über die
Wohnungen der Menschen hinausragen; von ihnen herab verkünden die
Glocken die Tageszeiten, rufen die Gemeinde zum Gottesdienste und
begleiten Freude und Trauer der Menschenkinder mit ihrem Klange. Die
Thürme und Glocken sind die Zierden der christlichen Tempel; aber welcher
Aufschwung vom hölzernen Gerüste bis zu Erwins Thurm in Straßburg!
Besonders berühmt waren die Schulen in St. Gallen; man unter-
schied deren zwei: eine äußere und innere. In die äußere kamen die-
jenigen, welche nicht in das Kloster ausgenommen werden, sondern nur
die Schule für einige Zeit besuchen wollten; in der inneren Schule
saßen die von ihren Eltern dem Kloster geweihten Knaben und Jüng-
linge; hier wurde auch griechisch gelernt, daher sie sich fratres hellenici
nannten. Die allgemeinen Fächer waren für die unteren Klassen: Gram-
matik, Rbetorik, Dialektik (das sogenannte Trivium); für die oberen:
Arithmetik, Musik, Geometrie und Astronomie (das sogenannte Quadri-
vium, welche Eintheilung durch Kassiodor aufkam). Die Mönche be-
dienten sich eines Astrolabs, auch verfertigten sie einen Himmelsglobus;
ein Heft mit geometrischen Figuren hat sich ebenfalls erhalten. Ausge-
zeichnet war ihre Singschule; die sog. Sequentien, welche gesungen wer-
den, so weit die katholische Kirche Gläubige hat, sind von diesen Mönchen.
Die berühmtesten Lehrer und Gelehrten von St. Gallen waren: Iso,
Tutilo, Ratbert, drei Notker (der erste Balbulus, der Stammler ge-
nannt, der berühmteste Mufsiker; der andere piperis granum, Pfeffer-
korn, wegen seiner Strenge so gehbeißen, ausgezeichnet als Arzt; der
dritte Labeo, der Dicklippige, dessen Uebersetzungen ein deutscher Sprach-
schatz sind), mehrere Eckeharde u. s. w.; ausgezeichnet durch Wissenschaft
und Kunstgeschmack war auch Bischof Salomo III. von Konstanz, zu-
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