74 Das heilige römische Reich deutscher Nation.
sondern er erwog sie persönlich und berieth sie in seinem Rathe, bevor
sie den Reichs-, Landes= und Gauversammlungen vorgelegt wurden.
Der kaiserliche Rath hatte zwei Abtheilungen. Die erste, welche
sich mit kirchlichen Angelegenheiten beschäftigte, wurde von dem Apo-
krisiarius oder kaiserlichem Archikapellan präsidirt, die zweite von den
Palzgrafen und berieth die Gegenstände der Gesetzgebung und Rechts-
pflege.
Im Herbste versammelte Karl die ersten geistlichen und weltlichen
Personen, die Großen des Reichs um sich (placitum generale), welche
Alles vorbereiteten, was der im Frühjahr (oder Sommer) stattfindenden
Reichsversammlung vorgelegt werden sollte, bei welcher auch die unter-
geordneten Würdeträger (die sogenannten minores) erschienen, die aber
nicht zu berathen und zu beschließen, sondern nur Auskunft zu geben
hatten. Diese Reichsversammlung schied sich in eine geistliche und welt-
liche Abtheilung, die zuerst abgesondert beriethen und dann zu einer
Generalversammlung zusammentraten, um die endgiltigen Beschlüsse mit
dem Kaiser zu fassen (Capitula, d. h. Gesetzartikel; vereinigt in ein
Capitulare), deren Ausführung den geistlichen und weltlichen Würde-
trägern, den Bischöfen und Aebten, den Grafen und Missi oblag.
Von 770 bis 813 hielt Karl 35 placita generalia, fast alle im
heutigen Deutschland, in Belgien und Holland.
Das Wehrwesen.
Ohne gute Wehrordnung hätte Karl seine vielen Kriege nicht mit
solchem Nachdrucke und solcher Schnelligkeit führen können. Nach seinem
Gesetze war jeder freie Mann zum Waffendienst für den Kaiser, zu dem
Hcerbann, verpflichtet. Ein Freier, der vier Bauernhöfe als Eigenthum
oder Lehen besaß, mußte bei Vermeidung einer Buße von 60 Schillingen
ausziehen. Die vermöglichsten Freien dienten zu Pferde, die weniger
reichen zu Fuße; arme Freie rüsteten selbdritt, noch ärmere selbsechst
ihrer einen zum Feldzuge aus. Denn jeder mußte sich seine Waffen
selbst anschaffen, was keine geringen Kosten in der damaligen Zeit ver-
ursachte, wo eine Lanzenspitze auf ungefähr elf Gulden unseres Geldes
zu stehen kam. Die vorgeschriebenen Waffen waren: Schild, Lanze,
Bogen und Köcher mit zwei Bogensehnen und zwölf Pfeilen. Außer-
dem mußte jeder Kriegsmann für drei Monate Lebensmittel mitbringen,
auch Art, Bohrer und solche Werkzeuge, die im Kriege vielmal noth-
wendig werden. Deßwegen waren viele Wägen nothwendig, die einen
Ueberzug von Leder hatten, damit man Flüsse und Bäche übersetzen
konnte, ohne daß die Lebensmittel 2c. durch das Wasser beschädigt wur-
den. Der Heerestroß war demnach gewaltig und mehrmals fielen die
Zugpferde durch Seuchen zu Tausenden.