Full text: Tagebuchblätter. Dritter Band. (3)

Neunundzwanzigstes Kapitel 107 
1865, als meine etatsmäßige Anstellung und Ernennung zum 
Legationsrat bevorstand, sagte Keudell mir, es würde wegen meines 
Verkehrs mit Lassalle gegen mich gestänkert; Amtliches hätte er noch 
nicht, er riete mir aber, dem Chef eine Darstellung zu geben. Auf 
Seite 2 derselben hatte ich jetzt eine Stelle durchstrichen, weil ich 
von Lassalle selbst weiß, wie sein Verhältnis zu der Frau gewesen 
ist, die etwas von Katharina II. hatte. Ich habe das Durchstrichne 
aber wiederhergestellt, weil die Phrase doppelsinnig ist und ich sie 
wahrscheinlich in der Absicht formuliert hatte. Sie widerspricht nur 
dem, daß Lassalle ein gewöhnlicher bienfaiteur der ältern Frau ge— 
wesen ist.“ 
Das „Konvolut“ enthielt folgende Schriftstücke: 
Zur Vorlage an den Ministerpräsi- 
denten Herrn von Keudell übergeben und 
von letzterm zurückerhalten. Ich war am 
1. Dezember 1864 in das Auswärtige 
Ministerium eingetreten. 
„Hochgeborner Herr Grafl 
Hochgebietender Herr Ministerpräsident! 
Auf Anregung des Herrn Legationsrats von Keudell bitte ich 
um die Erlaubnis, Eurer Exzellenz eine Darlegung meiner Bekannt- 
schaft mit Lassalle ehrerbietigst vorzulegen und auch auf gewisse, 
nach seinem Tode eingetretne Verhältnisse ausdehnen zu dürfen. 
Berlin, 10. November 1865. 
Bucher.“ 
„Es war kurze Zeit nach meiner Rückkehr aus England, im 
Mai 1861, als ich Lassalle in einer Sitzung der philosophischen Gesell- 
schaft hierselbst zum erstenmale sah. Er kam mir mit großer Freundlich- 
keit entgegen unter Berufung auf meine Thätigkeit in der National- 
zeitung und auf den Bruch mit ihr, den mein Widerstand gegen ihre 
damalige Richtung herbeigeführt hatte. Nachdem ich ihm noch einmal 
in einer Familie begegnet war, lud er mich zu sich ein. Bei dem Rufe, 
den er in der Berliner Gesellschaft hatte, folgte ich trotz der großen 
Anziehung seiner Unterhaltung nur mit Widerstreben der Einladung 
und beobachtete in dem Umgange, der sich schnell entwickelte, noch 
lange Zeit eine Zurückhaltung, die gegenüber seinen unverkennbar 
freundschaftlichen Gesinnungen mir zuweilen als ein Unrecht erschien.
	        
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